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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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Mit ein paar Ideen, die unter der dampfenden Dusche vage Konturen angenommen hatten, kam er in ihrem abgeschabten Bademantel, dessen ausgefranster Gürtel gegen seine nackten Beine baumelte, wieder heraus.
    Xie wartete schon mit gekreuzten Beinen auf dem Bett und war dabei, sich die Fußnägel mit einem leuchtenden Orangerot zu lackieren. Das Licht wurde durch das Fenster auf die glatte weiße Tagesdecke geworfen. Dann streckte sie die Beine vor ihm aus, wobei sie ihre Zehen genüßlich bog, hob einen Fuß über den anderen, wackelte mit den Zehen in seine Richtung und kicherte.
    »Ah«, sagte sie, »viel besser.«
    Über dem Sofa hing ein kleines Poster, auf dem ein Mädchen im Bikini abgebildet war und auf dem unten fettgedruckt stand: ZEIT IST GELD!, ein neuer politischer Slogan, den er in Guangzhou gesehen hatte.
    »Zieh deinen Bademantel aus«, sagte Xie und lackierte mit sicherer Hand ihre Nägel zu Ende. Dann verschloß sie das Nagellackfläschchen fest und stellte es auf den Nachttisch.
    »Muß das sein?«
    »Soll ich dir helfen?«
    Zu seiner Verblüffung sprang sie auf und half ihm aus dem Bademantel. Nur gut, daß er seine Unterhose wieder angezogen hatte. Sie führte ihn zum Bett, auf das er sich legte, und dann drehte sie ihn um. Wie er da auf dem Bauch lag, wurde er sehr nervös, als er merkte, daß sie auch ins Bett gekommen war.
    Sie umfaßte mit beiden Händen eine an der Decke befestigte Stange aus Stahl. Ihr Gewicht lastete wie bei einer Turnerin auf der Stange, und sie begann, seinen Rücken mit ihren Zehen zu massieren.
    Das war eine ganz befremdliche Erfahrung. In den ersten zwei, drei Minuten schwitzte Chen vor Beklommenheit. Xie könnte jeden Moment mit einem heftigen Tritt auf seinem bloßen Rücken landen, diesem Geflecht aus Wirbeln, Bandscheiben, Sehnen und Nerven. Doch schon bald mischten sich seine Angstgefühle mit anderen. Das Drücken ihrer nackten Zehen und Fersen löste in seinem ganzen Körper heiß-kalte Schauer aus. Chens Genuß wurde durch seine Beklommenheit sogar noch gesteigert.
    Offenbar war Xie professionell angeleitet worden. Ihre Zehen bearbeiteten seine Problempunkte, glätteten seinen Rücken und verringerten die Spannungen in seinem Körper. Mit einemmal fühlte er sich besser. Der Fall, sein Budget, die in den Fall hineinspielende Politik, all das lastete jetzt nicht mehr so stark auf ihm.
    »Du machst mir warme Füße.« Endlich war sie fertig. Ihr Gesicht war durch die Anstrengung gerötet, auf ihrer Stirn perlten Schweißtropfen.
    »Wundervoll«, sagte er.
    »Für mich ist das auch eine gute Übung.«
    »Ich mache das zum erstenmal.«
    »Ich weiß«, erwiderte sie und berührte dabei mit der Hand leicht den Knoten ihres Bademantels. »Wie wäre es jetzt mit dem Full Service.’’«
    So weit aber wollte er nicht gehen. Diese Grenze durfte er nicht überschreiten. Jetzt war der Augenblick gekommen, da er seinen Ausweis zücken mußte. Oberinspektor Chen hätte Xie nun aufs Präsidium mitnehmen und der Prostitution beschuldigen müssen. Aber was hieß das für Xie Rongs Mutter? Er stand bei ihr im Wort. Erführe sie, was aus ihrer Tochter geworden war, wäre das ein heftiger Schlag für die alte Intellektuelle, die bereits viel durchgemacht hatte. Die Festnahme würde auch seinen neuen Freund Ouyang belasten. Außerdem konnte er sich nicht sicher sein, daß seine örtlichen Kollegen ihm bei seinen Ermittlungen helfen würden, wenn Xie Rong sich hier in Polizeigewahrsam befand. Er war nicht sicher, ob er im Gegenzug für Xies Informationen über Wu Xiaoming für sie Vergünstigungen aushandeln könnte.
    »Sie schwitzen ja.« Er redete eher wie ein Kunde, um keinen Verdacht zu erregen. »Sie brauchen eine gründliche Dusche. Ich bleibe hier und mache für fünf Minuten meine Augen zu.«
    »Ja, nichts geht über ein kurzes Nickerchen«, sagte sie. »In einer Viertelstunde bin ich wieder da.«
    Kaum war sie verschwunden, nahm er einen Mini-Kassettenrecorder aus seiner Aktentasche und legte ihn unter das Kissen. Bevor er seine Augen für eine Minute schloß, zog er sein Hemd wieder an und machte mehrere Knöpfe zu. Trotz aller guten Vorsätze nickte er ein. Als er durch das Geräusch der sich schließenden Badezimmertür wieder wach wurde, dauerte es einige Sekunden, bis er wußte, wo er war.
    Sie kam mit einem Badetuch um die Schultern aus dem Badezimmer. Ihre zierlichen Beine und die dünne Figur ließen sie eher wie ein Schulmädchen erscheinen, das auf eine

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