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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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begreiflich, daß sie nicht gerne heraufkommen wollte. Sie mußte in ernsten Schwierigkeiten stecken.
    Er schlüpfte in seine Uniform, schnappte sich die Aktentasche und lief die Treppen hinunter. Lieber geschäftsmäßig aussehen zu dieser späten Stunde, dachte er, während er auf dem Weg zur Telefonzelle die Uniform zuknöpfte. Aber es war niemand da. Auf der anderen Straßenseite auch nicht.
    Er war verwirrt, beschloß aber zu warten. Plötzlich läutete der öffentliche Fernsprecher. Ein paar Sekunden lang starrte er ihn an, bevor ihm dämmerte, daß das Gespräch vielleicht für ihn war.
    »Hallo?«
    »Gott sei Dank! Ich bin’s noch mal, Wang Feng. Ich hatte schon Angst, Sie würden nicht drangehen.«
    »Ist irgend etwas?«
    »Ja, aber nicht mit mir. Heute nachmittag hat Ihre Paßbehörde meinen Antrag abgelehnt. Ich mache mir solche Sorgen um Sie.«
    »Um mich?«
    Er fand, daß Wang zusammenhanglos redete. Man hatte ihr keinen Paß ausgestellt, aber das war doch kein Grund, sich um ihn Sorgen zu machen.
    »Ich habe Ihren Namen erwähnt, aber die Beamten haben mich nur angestarrt. Einer von ihnen sagte, daß Sie vom Dienst suspendiert wären. Er nannte Sie einen Wichtigtuer, der nicht einmal in der Lage sei, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern.«
    »Wer hat das gesagt?«
    »Wachtmeister Liao Kaiju.«
    »Dieser Schwachkopf – hören Sie nicht auf ihn. Ein kleiner Fisch. Der ist bloß sauer, weil ich Oberinspektor bin.«
    »Ist es wegen diesen Ermittlungen in Sachen Guan?«
    »Nein, die sind noch gar nicht abgeschlossen.«
    »Ich habe mir solche Sorgen gemacht, Chen! Ich habe selbst ein paar gute Kontakte, und so habe ich heute abend ein wenig herumtelefoniert. Der Fall Guan liegt möglicherweise komplizierter, als Sie ahnen. Ein paar hohe Tiere empfinden ihn offenbar als bewußten Angriff auf die Revolutionäre der älteren Generation und halten Sie für einen Vertreter der liberalen Reformer.«
    »Aber Sie wissen ja, daß das nicht stimmt! Politik interessiert mich nicht. Es geht um einen Mordfall, das ist alles.«
    »Ich weiß, aber so denken nicht alle. Wu soll sich in Peking gewaltig aufspielen, habe ich gehört. Und er kennt dort eine Menge Leute.«
    »Das wundert mich nicht.«
    »Manche Leute haben sich sogar über Ihre Gedichte beschwert! Haben sie zusammengetragen und behauptet, sie seien politisch nicht korrekt und nur ein weiterer Beweis für Ihre Unzuverlässigkeit als Parteimitglied.«
    »Ich verstehe nicht, was meine Gedichte mit der Sache zu tun haben.«
    »Ich gebe Ihnen einen Rat – wenn Sie ihn von mir annehmen mögen«, sagte sie und fuhr, ohne seine Antwort abzuwarten, fort: »Hören Sie auf, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.«
    »Ich weiß Ihren Rat zu schätzen, Wang. Aber ich werde meine Probleme schon lösen. – Und Ihre auch«, setzte er hinzu.
    Eine kurze Pause entstand. Er konnte ihr erregtes Atmen am anderen Ende der Leitung hören. Und dann klang ihre Stimme auf einmal ganz anders, voller Wärme.
    »Chen?«
    »Ja?«
    »Sie klingen so abgespannt. Ich kann zu Ihnen kommen – ich meine, wenn Sie mögen.«
    »Ach, ich bin nur ein bißchen müde«, entgegnete Chen fast mechanisch. »Ich muß mal wieder ordentlich ausschlafen. Das ist alles, was ich brauche.«
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich. Vielen Dank.«
    »Also dann – machen Sie’s gut.«
    »Sie auch.«
    Er hängte ein und blieb unschlüssig in der Telefonzelle stehen.
    In Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, wie er seine Probleme lösen sollte. Geschweige denn ihre.
    Ein paar Minuten vergingen. Das Telefon läutete nicht wieder. Eigentlich hatte er es erwartet. Die Stille war enttäuschend.
    Wang machte sich Sorgen um ihn. Als Journalistin besaß sie eine natürliche Sensibilität für Veränderungen im Verhalten anderer. Wachtmeister Liao hatte versprochen zu helfen – zu einer Zeit, als Chen noch als aufsteigender Stern gegolten hatte. Chens Probleme hatten die Veränderung bewirkt. In Liaos Augen war die Karriere des Oberinspektors praktisch erledigt.
    Er trat aus der Telefonzelle auf die Straße. Es war nicht mehr so unerträglich schwül; das Mondlicht rann weich durch die Blätter. Er war nicht in der Stimmung, zurück in seine Wohnung zu gehen. So vieles schwirrte ihm durch den Sinn. So kam es, daß er ziellos durch die einsame Straße wanderte, und endlich merkte er, daß er, ohne es zu wollen, die Richtung zum Bund eingeschlagen hatte.
    An der Kreuzung Sichuan Lu kam er an einem zweistöckigen roten Ziegelbau

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