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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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behelfsmäßigen Wandschrank zurück und summte dabei eine Melodie. Er eilte ihr zu Hilfe. Nachdem er die Schranktür geschlossen hatte, blieb er dicht hinter ihr stehen und schlang seine Arme um ihre Taille. Sie kuschelte sich rückwärts an ihn und ließ ihn gewähren, als seine Hände ihren Rücken hochglitten.
    »Es ist doch ein merkwürdiger Gedanke«, sagte er, »daß Oberinspektor Chen mich beneiden könnte.«
    »Was?« murmelte sie.
    »Er sagte mir, was für ein glücklicher Ehemann ich sei.«
    »Das hat er zu dir gesagt?«
    Er küßte ihren Nacken und empfand Dankbarkeit für den Abend.
    »Geh jetzt ins Bett«, sagte sie lächelnd. »Ich komme auch bald.«
    Er gehorchte, aber er wollte nicht einschlafen, bevor sie kam. Er lag eine Weile da, ohne das Licht zu löschen. Von der Gasse her konnte man Fahrzeuglärm hören. Eine Amsel sang sehnsuchtsvoll in einem Ahornbaum. Auf der anderen Seite des Küchenbereichs knallte ein Nachbar die Tür zu. Jemand gurgelte an dem Gemeinschaftsbecken aus Beton, und Yu vernahm noch ein weiteres undeutliches Geräusch, das klang, als ob jemand eine Mücke auf einer Fensterscheibe totschlug.
    Dann hörte er, daß Peiqin die Lichter in der Küche ausmachte und leise ins Zimmer kam. Sie schlüpfte in einen alten Morgenmantel aus changierender Seide, die leise knisterte. Ihre Ohrringe klirrten auf einem Teller, der auf der Kommode stand. Sie zog einen Plastikspucknapf unter dem Bett hervor und stellte ihn in die Ecke, die zum Teil durch den Schrank verdeckt war. Man hörte ein gurgelndes Geräusch. Endlich kam sie und glitt unter die Bettdecke.
    Er war nicht überrascht, als sie sich an ihn schmiegte. Er merkte, wie sie das Kissen in eine bequemere Lage rückte. Ihr Morgenmantel öffnete sich. Vorsichtig ertastete er die weiche Haut auf ihrem Bauch, spürte ihren warmen Körper und zog ihre Knie gegen seine Schenkel. Sie sah zu ihm hoch.
    In ihren Augen erblickte er die Antwort, die er erwartet hatte.
    Sie wollten Qinqin nicht wecken.
    Mit angehaltenem Atem versuchte er, sich so leise wie möglich zu bewegen. Sie tat dasselbe.
    Danach hielten sie einander lange Zeit in den Armen.
    Normalerweise fühlte er sich nachher immer schläfrig, in dieser Nacht jedoch arbeitete sein Verstand messerscharf.
    Peiqin und er waren gewöhnliche Chinesen. Sie arbeiteten viel und gaben sich mit wenigem zufrieden. Ein Krebsessen wie heute abend machte sie froh und glücklich. Schon kleine Dinge bedeuteten ihnen viel: ein Film am Wochenende, ein Besuch im Garten der Augenweide, ein Lied auf einer neuen Kassette oder ein Mickymaus-Pullover für Qinqin. Manchmal beklagte er sich, wie andere auch, aber er hielt sich für einen glücklichen Menschen, hatte eine phantastische Frau, ein wunderbares Kind. Was bedeutete da alles andere auf dieser Welt?
    »Himmel oder Hölle sind im Kopf eines Menschen, nicht in den materiellen Dingen, die man auf der Welt besitzt«, hatte ihm der Alte Jäger einmal gesagt.
    Aber einige Dinge hätte Hauptwachtmeister Yu doch gerne gehabt. Eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern zum Beispiel. Qinqin war schon ein großer Junge, der ein eigenes Zimmer brauchte. Er und Peiqin würden dann nicht den Atem anhalten müssen, wenn sie miteinander schliefen. Einen Propangastank zum Kochen, anstatt Briketts. Und einen Computer für Qinqin. Seine eigenen Schuljahre waren verloren, aber Qinqin sollte eine andere Zukunft haben … Die Liste war recht lang, aber es wäre schön, wenigstens die paar Dinge zu haben, die oben auf der Wunschliste standen.
    All das, so hatte es in der Volkszeitung geheißen, werde es in naher Zukunft geben. »Wir werden Brot haben und Milch auch.« So sprach ein treuer Bolschewist in einem Film über die Russische Revolution, als er seiner Frau die wunderbare Zukunft der jungen Sowjetunion vorhersagte. Diesen Film hatte Yu in der Mittelschule viele Male gesehen, es war der einzige ausländische Film, den es damals gab. Nun existierte die Sowjetunion praktisch nicht mehr, aber Hauptwachtmeister Yu glaubte immer noch an Chinas Wirtschaftsreformen. Vielleicht würde in einigen Jahren für die gewöhnlichen Chinesen vieles besser werden.
    Unter einem Stapel Zeitschriften kramte er den Aschenbecher hervor.
    Aber diese Prinzlinge! Die waren ein Grund, warum dem gewöhnlichen Chinesen das Leben so sauer wurde. Wegen der Beziehungen ihrer Familien konnten die Prinzlinge Dinge tun, die sich andere Leute nicht im Traum erlauben konnten, und stiegen auf ihrer politischen

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