Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
Brombeersträuchern und hohem
Farn. Hier und da fielen Sonnenstrahlen durch die Baumkronen, in denen die
Vögel ihren Nachmittagsgesang anstimmten.
Auf der Kuppe des Hügels lichtete
sich der Wald, und Lydias Augen weiteten sich vor Entzücken, als sie mitten auf
einer grünen Wiese eine kleine Hütte aus groben Baumstämmen entdeckte. Die
Eingangstür befand sich am äußersten linken Ende des kleinen Hauses, ein
einzelnes Fenster war auf der anderen Seite eingebaut.
Der Ort erschien Lydia wie
verzaubert, vielleicht, weil sie so unverhofft darauf gestoßen war. Sie hätte
sich nicht gewundert, wenn plötzlich Hänsel und Gretels Hexe aus der Hütte
gekommen wäre, um sie zu begrüßen.
Über die Vorstellung lächelnd,
verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken und rief: »Hallo? Ist jemand zu
Hause?«
Keine Antwort, nur das empörte
Piepsen der Vögel, die verärgert schienen, weil Lydia ihren Frieden störte.
Sie ging um das kleine Haus herum
und stellte fest, daß es keinen Hintereingang gab und auch kein zweites
Fenster. Aber das war nicht überraschend in einer Gegend, in der man auch heute
noch mit Indianerüberfällen rechnen mußte. Je weniger Zugangsmöglichkeiten ein
Haus besaß, desto sicherer waren seine Bewohner.
Lydia erinnerte sich an Millies
Geschichte über ihre Mutter und ihre Schwester, die sich während eines
Indianerangriffs unter den Fußbodendielen versteckt hatten. Zweifellos war dies
die Hütte, die Brigham damals für seine junge Braut errichtet hatte.
Der Gedanke versetzte Lydia einen
Stich, und sie ließ sich auf einer der Eingangsstufen nieder. Das Kinn auf die
Hand gestützt, versuchte sie, sich Brighams Frau vorzustellen, aber kein Bild
wollte sich einstellen. Nirgendwo in dem großen Haus hatte sie eine Fotografie
oder ein Gemälde von Charlottes und Millies Mutter gesehen, zumindest nicht in
den Räumen, die sie bisher betreten hatte. Andererseits jedoch hatte sie auch
nie Ausschau danach gehalten.
Lydia blieb eine Zeitlang sitzen und
versuchte, den Frieden der kleinen Lichtung auf sich wirken zu lassen, aber
auch hier ließ ihr das Dilemma, das sie seit dem Gespräch mit Polly quälte,
keine Ruhe. Sie konnte mit ihrem Wissen nicht zu Devon gehen, denn er war gut
zu ihr gewesen, und sie wollte ihn auf keinen Fall so brutal verletzen.
Vielleicht hätte sie mit Brigham darüber reden sollen, da er ganz offenbar das
Oberhaupt der Familie war, aber sie fürchtete seine Reaktion. Es war nur zu
leicht, sich vorzustellen, wie er in wütenden Zorn geriet, sämtliche
Beteiligten an dem Drama anschrie und sich vielleicht für immer mit seinem
Bruder entzweite.
Ohne zu einem Entschluß gekommen zu
sein, wie sie sich verhalten sollte, machte Lydia sich schließlich wieder auf
den Heimweg.
Jake Feeny saß auf den Stufen zum
Hof, eine Zigarre im Mundwinkel und einen Korb Kartoffeln an der Seite. Er
hatte gerade eine geschält und ließ sie in einen Topf mit Wasser fallen, als
Lydia näher kam.
Sie lächelte und setzte sich neben
ihn. »Haben Sie ein zweites Messer?« fragte sie und griff in den Korb mit den
Kartoffeln.
Mister Feeny reichte ihr sein
eigenes und bedachte sie mit einem nachdenklichen, aber nicht unfreundlichen
Blick. »Haben Sie dort, wo Sie herkommen, viele Kartoffeln geschält?« fragte
er.
Lydia nickte lachend und deutete auf
den bewaldeten Berg vor ihnen, von dem das beständige Kreischen der Sägen zu
ihnen hinüberdrang. »Genug, um einen Berg in dieser Größe zu formen, Mister
Feeny«, antwortete sie.
Der Koch erwiderte ihr Lächeln
nicht, aber er rieb sich sein stoppeliges Kinn und musterte sie mit
neuerwachtem Respekt. »Jake«, entgegnete er. »Nennen Sie mich Jake.«
Fünf
Brigham schwitzte, als er sein Ende der
langen Quersäge bewegte. Trotz vieler Jahre harter Arbeit schmerzten seine
Rücken- und Schultermuskeln, und die Haut unter den Schwielen auf seiner
Handfläche brannte. Er preßte die Lippen zusammen und sägte weiter, doch seine
Gedanken ließen sich nicht so leicht beherrschen wie sein Körper — sobald seine
Konzentration nachließ, schweiften seine Gedanken zu Lydia McQuire ab.
An ihrer Figur war nichts
auszusetzen, obwohl es ihr nichts geschadet hätte, etwas zuzunehmen, und ihr
Haar war weich und glänzte wie Seide in der Sonne. Aber ihre Augen — diese
veilchenblauen Augen — beunruhigten Brigham sehr. Sie hatten viel Leid
gesehen, diese Augen, und doch hatte er in ihnen die Fähigkeit zum
Glücklichsein entdeckt und eine
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