Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
nach einem langen, sehnsuchtsvollen Blick auf Devon den Raum.
»Lydia.« Seine Stimme war klar und
gut verständlich, obwohl sie rauh und heiser klang.
Eine leise Verzweiflung stieg in
Lydia auf, aber sie ermahnte sich, ruhig zu bleiben. »Hallo, Devon«, antwortete
sie, bevor sie sich in Pollys Sessel niederließ. Obwohl sie wußte, daß er sie
nicht sehen konnte, lächelte sie und nahm seine gesunde Hand in ihre. »Du
verschwendest deine Zeit in diesem Bett«, sagte sie aufmunternd. »Heute habe
ich dieses Rattennest gesehen, daß Brigham als Warenhaus bezeichnet. Es wird
Zeit, daß du wieder gesund wirst und die Arbeiten an deinem Bau fortsetzt, denn
glaub mir, du wirst hier dringend gebraucht. Es gibt keinen Laden, wo ich auch
nur eine Rolle Stickgarn kaufen könnte ...«
Die Zimmertür öffnete und schloß
sich wieder, und als Lydia aufschaute, sah sie ihren Freund Joseph McCauley
eintreten. Er wirkte ausgeruhter als beim letztenmal, hatte sich umgezogen und
trug seinen abgeschabten Arztkoffer in der Hand.
Plötzlich kam Lydia sich albern vor.
»Ich wollte nur ...«
»Ich weiß«, unterbrach Joseph sie
gelassen. »Er ist weit entfernt von uns, und Sie versuchen, ihn heimzurufen.
Ich erinnere mich heute noch an Ihre Stimme in diesem Yankeelazarett. Sie war
wie ein goldener Fasan für mich, den ich in beide Hände nahm, um aus dem Dunkel
ins Licht zurückzufinden.«
»Wie poetisch das klingt«, bemerkte
Lydia.
Joseph trat an die andere Bettseite,
öffnete seinen Koffer und nahm sein Stethoskop heraus. »In jedem Menschen
steckt ein wenig von einem Dichter. Zumindest, wenn die Situation es so
erfordert.«
Lydia war kein Mensch, der sich
Illusionen hingab; nach all dem Leid, das sie mit angesehen hatte, glaubte sie
weder an Märchen noch an Schutzengel. Trotz allem wünschte sie einen Moment
lang, sich in Joseph McCauley verlieben zu können. Er würde einen guten Ehemann
abgeben mit seinem sanften Wesen und seiner galanten Art.
Sie wandte den Kopf ab. Welche Frau
wäre besser als sie dazu geeignet gewesen, einen Arzt zu heiraten; wer außer
ihr in dieser wilden Gegend verfügte über die Ausbildung und Erfahrung einer
Krankenschwester? Doch es wäre brutal und unfair von ihr gewesen, Joseph
McCauley zu ermutigen, solange es Brigham Quade war, der ihr Blut in Wallung
brachte.
»Lydia.«
Sie hob den Blick und richtete ihn
auf Joseph. »Ja?« fragte sie leise, von den Emotionen überwältigt, die den Raum
erfüllten. Sie war sich nicht nur ihrer eigenen Gefühle bewußt, sondern sie spürte
auch Devons wütende Anstrengungen zu überleben und Josephs stille Suche nach
einem dauerhaften Frieden.
»Als ich heute in die Küche kam und
Sie sah«, begann Joseph, als er sein Stethoskop in den Koffer zurücklegte,
»sagte ich mir: >Joe McCauley, der Himmel scheint es doch gut zu meinen mit
einem gewöhnlichen Sterblichen wie dir.< Ich möchte Sie nicht belügen,
Lydia, und Ihnen sagen, daß ich mir nicht mehr wünsche — aber ich wäre auch
bereit, mich für den Rest meines Lebens mit einem Lächeln oder einer Berührung
von Ihnen zufriedenzugeben.«
Lydia schlug die Augen nieder. »Sie
sind zu direkt, Sir«, antwortete sie verlegen.
Er seufzte und trat ans Fenster.
»Wir leben in einer Zeit, die Direktheit erfordert, Lydia, und der Westen ist
ein Ort, an dem man nur mit Aufrichtigkeit etwas erreicht.«
Lydia dachte an Elly Collier, die
freimütig vor aller Welt bekannte, daß sie nie verheiratet gewesen war, und an
Polly, die Devon mit betrügerischen Machenschaften dazu gebracht hatte, sich
als ihr Mann zu fühlen. Sie dachte aber auch an sich selbst, die mit Brigham
auf einem schmalen Bett gelegen und zugelassen hatte, daß seine Hände mit ihren
Sinnen spielten wie ein Künstler auf seinem Instrument.
Ja, dachte sie, der Westen ist ein
Ort mit eigenen Gesetzen, der absolute Aufrichtigkeit erfordert. »Ich liebe Sie
nicht, Doktor McCauley«, sagte sie leise.
Joseph wandte sich zu ihr um und
bedachte sie mit einem Lächeln, das unter anderen Umständen, bevor sie Brigham
Quade begegnet war, vielleicht zärtliche Gefühle in ihr erweckt hätte. »Das
weiß ich«, erwiderte er. »Selbst wenn diese Schrapnelle damals meine Augen
erwischt hätten statt meines Arms, wäre ich trotzdem in der Lage zu erkennen,
daß Sie einen anderen lieben.«
Er brach ab und richtete seinen
Blick wieder auf das Fenster. »Brigham ist ein feiner Mann, Lydia, aber er ist
auch hart und rücksichtslos. Er liebt diese Berge dort
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