Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
auf dem besten
Porzellan der Quades. Polly hätte diese Frau so gern gehaßt, aber es gelang ihr
einfach nicht.
Nachdem Lydia einen Finger in der
Milch befeuchtet hatte, hielt sie ihn an das winzige Maul des Kätzchens, das
den Tropfen gierig abschleckte. »Ich wollte gerade zu euch hinüberkommen«,
teilte sie Polly freundlich mit. »Ich brauche einige Bücher für den Unterricht.
Wie geht es Devon heute?«
Polly bemühte sich zu lächeln; aber
es mißlang. Schließlich setzte sie sich auf die Verandastufen und schlang die
Arme um die Knie. »Er ist wach. Er hat nach dir gefragt.«
Lydia setzte sich neben sie und zog
das Kätzchen auf den Schoß, um es dort weiterzufüttern. »Ich werde ihn
besuchen, wenn ich im Haus bin«, sagte sie.
Als Polly das Tierchen betrachtete,
das so zart und zerbrechlich wirkte, preßte sie die Lippen zusammen und
kämpfte von neuem gegen die aufsteigenden Tränen an.
Lydia, die Pollys Leid spürte,
schaute sie fragend an.
»Was für hilflose Wesen Babies
sind«, murmelte Polly, ohne den Blick von dem Kätzchen zu lösen.
Es dauerte einen Moment, bis Lydia
begriff, aber dann sagte sie erschrocken: »0 Polly ... Willst du damit sagen,
daß du ein Kind erwartest?«
Polly streckte die Hände nach dem
Kätzchen aus und drückte es beschützend an ihre Brust. »Ich glaube ja.«
»Hast du es Devon schon gesagt?«
Das heisere Lachen, das Polly
ausstieß, enthielt keine Spur von Humor, nur Verbitterung und Leid. »Nein. Und
ich weiß auch nicht, ob er es je von mir erfahren wird.«
»Wieso denn nicht?« fragte Lydia
schockiert.
»Das erste, was er zu mir sagte,
nachdem er wieder zu sich gekommen war, war: Raus!<. Er haßt mich, Lydia.«
»Er ist wütend«, entgegnete sie,
»und er hat bestimmt auch starke Schmerzen. Die Aussicht, ein Kind zu haben,
könnte ihm in diesen schweren Momenten eine große Hilfe sein.«
Das Kätzchen war an Pollys Brust
eingeschlafen. »Es ist schlimm genug, daß Devon mich nicht will«, sagte sie und
starrte zu den fernen, schneebedeckten Bergen hinüber. »Ich könnte es nicht
ertragen, wenn er auch unser Kind ablehnen würde.«
Lydia drückte ihre Hand.
»Angenommen, es wäre nicht so?«
Polly hob das Kätzchen und drückte
ihre Wange auf das weiche Fell. Und da kam ihr plötzlich eine entsetzliche
Erkenntnis. Devon konnte sehr wohl annehmen, daß sie bereits schwanger gewesen
war, als sie sich kennenlernten, und daß ihre Behauptung, er sei der Vater,
nur eine weitere Lüge war!
»Er wird mir vielleicht nicht
glauben«, meinte sie resigniert, »und das habe ich schließlich mir selbst zu
verdanken.« Sie gab Lydia die Katze zurück und holte tief Atem, um sich zu
fassen. »Wo sind Charlotte und Millie?«
Lydia seufzte. »Bei den Holmetzkindern
und Elly Colliers Jungen. Sie suchen Pflanzen für die Botanikstunde heute nachmittag.«
Polly stand auf und schaute zum Hafen hinunter, wo gerade ein Dampfschiff
einlief. Vielleicht würde sie dieses Boot besteigen und weit, weit fortfahren
von Quade's Harbor, um irgendwo anders für sich und ihr Kind ein neues Leben
aufzubauen. Sie konnte immer noch nach San Francisco zurückkehren, sich dort
als Witwe ausgeben und sich einen anderen Mann suchen.
Mit geistesabwesender Miene
verabschiedete sie sich von Lydia und ging mit hängenden Schultern zum Tor.
Eine hoffnungslose Verwirrung beherrschte ihre Gefühle, aber selbst so wußte
sie, daß eine Flucht keine Lösung für ihre Probleme war. Außerdem hätte sie es
niemals über sich gebracht, sich einen neuen Mann zu nehmen, nicht, solange sie
Devon liebte. Allein der Gedanke an Intimitäten mit einem anderen als ihm
flößte ihr so starken Ekel ein, daß sie erschauerte.
Lydia brachte die Katze und das Schälchen
Milch in die Küche zurück, aber ihre Gedanken waren bei Polly. Am liebsten wäre
sie jetzt auf der Stelle zum großen Haus hinübergegangen, um Devon mitzuteilen,
was sie von ihm und seinem dummen Stolz hielt.
Doch noch bevor sie ihr Gesicht
gewaschen und ihr Haar geglättet hatte, wußte sie, daß sie nie ein derart
persönliches Thema mit Devon besprechen würde. Er und Polly mußten ihre
Probleme schon selbst lösen.
Als Lydia zum Haus hinüberging, sah
sie, daß mehrere große Männer das Dampfschiff verließen, gefolgt von zwei
Frauen in schlichten Kleidern.
Da Mister Harrington, Brigs
Buchhalter, am Hafen stand und sich um die Neuankömmlinge kümmerte,
unterdrückte Lydia ihre Neugierde und ging weiter. Sie würde die Frauen
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