Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
glänzenden Klingen, mit denen Rafael und
Lucian gefochten hatten. Und dennoch straffte sie die Schultern, holte tief
Atem und stieß ihn langsam wieder aus. Während sie Lucian offen in die Augen
schaute, sagte sie: »Natürlich werde ich Miss Covington nichts dergleichen
fragen. Ihre Beziehung zu dem Prinzen ist nicht meine Angelegenheit.«
Obwohl Lucian lächelte, lag etwas
abscheulich Hartes in seinem Blick, aber er besaß wenigstens den Anstand, Annie
nicht daran zu erinnern, daß er sie weinend und auf Knien im Gras gefunden
hatte, kurz nachdem sie mit Rafael zusammengewesen war.
»Dies hier ist kein Märchen«, sagte
er. »Und mein Bruder, Prinz oder nicht, reitet kein weißes Roß. Falls Sie sich
erlauben, ihn zu lieben, Annie, wird er Sie zerstören.«
Annie zweifelte nicht an der
Wahrheit in Lucians Worten, trotz ihrer Grausamkeit, aber es war bereits zu
spät, um umzukehren. So nickte sie nur und wandte den Blick ab, und Lucian,
nach einem kurzen Zögern, verließ den Garten.
Annie durchquerte gerade die große
Halle, mit der Absicht, ihr Gesicht zu waschen und sich in ihrem Zimmer zu
verbergen, bis ihre Augen nicht mehr rot und geschwollen waren, als Phaedra
die breite Treppe hinuntergestürmt kam. Ihr langes Haar war aufgelöst und flatterte
wie ein ebenholzfarbenes Banner; ihr Gesicht glühte in einer Mischung aus Jubel
und Erregung.
»Er kommt!« rief sie und umarmte
ihre Freundin stürmisch. »Seine Kutsche ist vom Nordturm aus gesichtet worden!«
»Wer?« fragte Annie stirnrunzelnd.
»Chandler Haslett, wer sonst?« rief
Phaedra atemlos. »Mein Bräutigam. Er hat die weite Reise aus Amerika gemacht,
um mich zu heiraten!«
Annie wußte alles über Mr. Haslett,
obwohl sie ihn nie persönlich kennengelernt hatte. Wie Rafael, war er gut
bekannt mit ihren Eltern; sein Vater war ein bavianischer Adliger gewesen,
seine Mutter eine schöne Erbin aus Boston. Er war unfaßbar reich und hatte
schon Löwen in Afrika gejagt und Polarbären in der Arktis. Auf den Fotografien
sah er recht gut aus und war etwa dreißig Jahre alt — ein perfektes Alter für
einen Ehemann.
Annie unterdrückte einen Seufzer. Es
war alles so ungemein romantisch.
In St. Apasia in der Schweiz hatten
Annie und Phaedra so manche Nacht wachgelegen und über die Hochzeit gesprochen,
die schon kurz nach der Geburt der Prinzessin arrangiert worden war. Es war
ein köstliches Thema gewesen damals, ein unbedenkliches Projekt, das noch in
weiter Ferne lag, doch nun stiegen plötzlich Bedenken in Annie auf. Denn
immerhin hatte Phaedra Mr. Haslett seit ihren Kindertagen nicht mehr gesehen,
und es war möglich, daß er sich in all diesen Jahren zu einem abscheulichen
Menschen entwickelt hatte, der spielte, mit unmoralischen Frauen Umgang pflegte
oder sogar ein Trinker war.
Innerhalb von Sekunden verflog auch
Phaedras Überschwang, und Annies eigene Bedenken spiegelten sich auf den
schönen Zügen der Prinzessin wider.
»Und wenn ich ihn nun nicht liebe?«
wisperte sie und umklammerte angstvoll Annies Hand.
Annie begriff, daß sie jetzt für
beide stark sein mußte. »Falls du Mr. Haslett unannehmbar findest«, sagte sie
ruhig, »brauchst du es nur Rafael zu sagen. Ich bin sicher, daß er die Hochzeit
dann sofort absagen wird.«
Phaedra war blaß, ein bestürzter
Blick erschien in ihren braunen Augen. »O Annie, du bist ja so amerikanisch! Ich bin Mr. Haslett vor vielen, vielen Jahren versprochen worden. Es sind
Dokumente unterschrieben und Besitztümer ausgetauscht worden. Es ist eine
Frage der Ehre - Rafael würde niemals ein solches Versprechen brechen, obwohl
er es nicht selbst gegeben hat.«
Phaedra zuliebe zwang Annie sich zu
einem Lächeln. »Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte sie, obwohl ihr Vorrat
an Zuversicht nun rasch dahinschwand, denn schließlich war es ein anstrengender
Tag gewesen. »Mr. Haslett ist bestimmt ein wundervoller Mensch - er muß es
einfach sein, bei all dem, was er erreicht hat! Ich bin überzeugt, daß du dich
auf den ersten Blick in ihn verlieben wirst.«
»Aber angenommen, es wäre nicht
so?« murmelte Phaedra.
»Darüber werden wir uns sorgen, wenn
es soweit ist«, erklärte Annie resolut, doch trotz ihrer Versicherungen war sie
froh, daß sie nicht einem Fremden versprochen worden war wie ein Haus
oder ein Stück Land. Sie war empört über den bloßen Gedanken, daß Rafael
imstande sein könnte, seine Schwester zu einer Heirat zu zwingen, nur um seiner
verdammten Ehre willen.
Drei
Chandler
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