Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
liebevoll und heiter, und die Leidenschaft, die ihre Eltern
verband, etwas Schönes und Reines. »Warum hassen Sie ihn so, Lucian? Was hat er
Ihnen angetan?«
»Passen Sie auf, daß Sie nicht das
gleiche Ende nehmen wie Rafaels Mutter«, warnte Lucian, bevor er ihre Fragen
beantwortete. »Was Rafael mir angetan hat? Er war der Erstgeborene. Er hat mir
mein Geburtsrecht geraubt und es den Hunden vorgeworfen!«
»Sie sind nicht bei Verstand«, sagte
Annie.
Lucian ging in die Speisekammer und
kehrte mit einem Apfel zurück, den er an seinem Hemd polierte, während er sich
Annie näherte. Als er sie erreichte, bot er ihr die Frucht in einer
respektlosen Geste an. »Hier, meine Schöne, aber Vorsicht — nicht, daß Sie
davon abbeißen und in einen hundertjährigen Schlaf versinken!«
Annie nahm den Apfel und blieb
schweigend stehen, während Lucian mit dem Zeigefinger über ihre Lippen strich
und pfeifend den Raum verließ.
Felicias sanfte, vernünftige Worte
vermochten Rafael nicht zu beruhigen. Es gab nur zwei Heilmittel für die
Wildheit, die ihn ergriffen hatte — ein wüstes Gefecht mit den Floretten oder
ein Nachmittag in einem Hurenbett. Da jedoch keine Huren anwesend waren — und
selbst dann hätte er gewußt, daß nur Annie Trevarren seine Begierden stillen
konnte —, entschloß er sich zu einem Fechtkampf und ließ Edmund Barrett holen.
»Armer Edmund«, bemerkte Felicia,
als sie beobachtete, wie Rafael die Klinge von der Wand nahm, die er von seinem
unseligen Vater geerbt hatte. »Er ist zu anständig und sich seiner Stellung
hier zu sehr bewußt, um dich zu besiegen, was nur bedeutet, daß er das
Schlimmste abbekommen wird, obwohl es in Wirklichkeit Lucian ist, den du gern
durchbohren würdest.«
Rafael runzelte die Stirn und warf
seiner alten Freundin einen scharfen Blick zu. Sie verstand ihn besser als
jeder andere, und ihre Unverblümtheit war oft sehr irritierend. »Wenn ich
meinem Bruder jetzt begegnete, würde ich ihn ganz bestimmt durchbohren. Barrett
ist ganz entschieden das kleinere Übel.«
Felicia schüttelte den Kopf. »Nein,
Rafael. Barrett ist nur ein unschuldiger Zuschauer in diesem Drama, und es ist
sein Pech, daß er dir treu genug ist, um deine verrückten Forderungen zu
erfüllen.«
Rafael ließ in einer schnellen
Bewegung die Klinge durch die Luft sausen. »Du hättest gehorsamer sein und
dieses Land längst verlassen sollen«, sagte er zu Felicia, ohne sie anzusehen.
»Du bist eine schöne Frau und an diesem Ort verschwendet.«
Seufzend ließ sie sich auf einem
Sessel nieder. Felicia war zarter, als er sie je gesehen hatte; viel dünner und
mit dunklen Schatten unter ihren schönen Augen, und das besorgte ihn. »Ich
habe es dir schon einmal gesagt, Rafael. Wenn du Bavia verläßt, werde ich es auch
tun.«
»Dann paß auf«, entgegnete Rafael
leichthin, um seine Enttäuschung wie auch seine Sorge zu verbergen, »daß du die
Reise nicht in einem Sarg antrittst, wie es bei mir der Fall sein wird.«
Tränen füllten Felicias Augen, und
sie sprang auf. »Verdammt, Rafael!« herrschte sie ihn an. »Wie kannst du von
deinem Tod reden, als ob es sich nur um einen Scherz handelte?«
Er ließ das Florett sinken und
beobachtete sie, als sie ärgerlich im Zimmer auf und ab schritt. »Das ist die
einzige Art, überhaupt darüber zu reden«, antwortete er. »Aber um Himmels
willen, Felicia - du brauchst doch wirklich nicht zu bleiben! Verlaß Bavia,
sobald die Hochzeit vorüber ist, wenn du nicht schon vorher reisen willst, und
gib endlich die Idee auf, daß du mich vor meinem Schicksal retten kannst. Niemand
kann das.«
»Niemand außer dir!« rief Felicia
schluchzend. »Und du bist zu stur und töricht, um es zu versuchen!« Mit diesen
Worten floh sie aus dem Raum und stieß in der Tür fast mit Barrett zusammen.
»Das ist die zweite Frau heute, die
deinetwegen tränenüberströmt aus einem Zimmer stürzt«, bemerkte der Leibwächter.
»Oder waren da noch andere, von denen ich nichts weiß?«
»Halt den Mund und kämpfe«,
erwiderte Rafael grob, nahm das zweite Florett von der Wand und warf es Barrett
zu.
Sein Freund zuckte die Schultern,
und über eine Außentreppe begaben sie sich zum Hof, wo Platz genug für einen
Fechtkampf war.
»Miss Covingtons Aussage nach hast
du mich aus einem mißgeleiteten Pflichtgefühl heraus all diese Jahre gewinnen
lassen«, bemerkte Rafael, während Barrett sich aufwärmte. »Ist das wahr?«
Der Leibwächter lächelte. »Du bist
einer der besten
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