Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
befohlen?«
Annie betrachtete sein betroffenes
Gesicht und empfand eine überwältigende Erleichterung, gefolgt von einer Art
trauriger Resignation. »Nein«, sagte sie sanft, »das glaube ich nicht. Aber es
waren deine Männer, Rafael. Sie trugen deine Uniformen, ritten deine Pferde und benutzten deine Schwerter und Pistolen. Du trägst eine
große Verantwortung in dieser Angelegenheit, das ist nicht abzustreiten.«
Er stand rasch von der Bank auf und
drehte ihr den Rücken zu, und Annie sah, wie er die Schultern hängen ließ. Sie
hätte ihn gern getröstet, und doch konnte sie nicht, wollte sie nichts mit
seiner Art des Regierens zu schaffen haben. »Ich versuche gar nicht, etwas
abzustreiten«, sagte er nach sehr langer Zeit und drehte sich wieder zu ihr um.
»Natürlich kann ich nichts tun, um etwas an den Geschehnissen zu ändern. Aber
eins kann ich dir versprechen. Die Männer, die in diese Sache verwickelt waren,
werden von ihrem Dienst enthoben und vor Gericht gestellt werden.«
Annie nickte nur.
Rafaels Gesichtsausdruck blieb
ernst, und er hob anklagend einen Finger. »Du wirst mir allerdings auch eine
Erklärung für deine Handlungsweise geben müssen, Annie. Gott weiß, daß ich
dich am liebsten übers Knie legen würde dafür, daß du dich und meine Schwester
in derartige Gefahr gebracht hast, aber ich werde der Versuchung widerstehen
und statt dessen einen langen Brief an deine Eltern schreiben. Ich bin sicher,
daß Patrick gern erfahren würde, was seine Tochter seit ihrer Ankunft in Bavia
so alles treibt.«
Anni schluckte und verzichtete auf
die Erwiderung, daß die ganze Sache ursprünglich Phaedras Idee gewesen war.
Rafael schaute sie noch einen Moment
lang mit unergründlicher Miene an, um sich dann abzuwenden und den Garten zu
verlassen. »Barrett!« hörte Annie ihn brüllen.
Welch eine Heimkehr, dachte Rafael
düster, als er eine Stunde später in der Kupferbadewanne saß, die er sich in
sein Zimmer hatte bringen lassen. Sein Land, sein ganzes Leben, brach
ihm über dem Kopf zusammen. Er hatte den größten Teil der Woche entweder im
Sattel verbracht oder auf der harten Erde, und alles, woran er hatte denken
können, praktisch jede Sekunde dieser Zeit, war Annie Trevarren.
Er griff nach seinem Rasierzeug, das
zusammen mit einem Kognakschwenker auf einem kleinen Tischchen neben der Wanne
stand, und begann seine Wangen einzuseifen. Die entzückende Miss Trevarren
hatte ein grausames Erwachen auf dem Marktplatz erfahren, und das Erlebnis
schien ihre Denkweise in so mancher Hinsicht verändert zu haben.
Ihre Meinung über einen gewissen
Rafael St. James zum Beispiel, dachte
er trübselig, während er einen kleinen Spiegel zur Hand nahm, um mit dem
Rasieren zu beginnen. Annie hatte ihre romantischen Ideen in bezug auf ihn
bestimmt aufgegeben, und zweifellos würde es keine Gelegenheit mehr für
skandalösen Klatsch über sie beide geben.
Rafael reinigte die Klinge und ließ
sie über die andere Wange gleiten. Er hätte froh sein müssen, Annie los zu
sein, doch statt dessen war er enttäuscht. Die Trennung von Annie hatte sie nur
noch begehrenswerter für ihn gemacht und seinen Entschluß, sich von ihr
fernzuhalten, erheblich ins Wanken gebracht. Es schmerzte ihn, daß sie ihn für
einen Tyrannen hielt, der es verdiente, abgesetzt zu werden, während es ihn in
Wirklichkeit doch sehr bestürzte, was seine Soldaten auf dem Marktplatz
angestellt hatten.
Annie hatte recht; obwohl er nichts
von dem Zwischenfall gewußt hatte, ganz zu schweigen davon, den Befehl dazu zu
geben, war er der Oberbefehlshaber der Armee und trug daher die Verantwortung
für ihre Aktionen. Es verursachte ihm Übelkeit, sich vorzustellen, welche anderen
Brutalitäten die Männer noch verbrochen haben mochten, ohne sein Wissen und in
anderen Städten oder Dörfern.
Kein Wunder, daß sein Volk kein
Vertrauen in die Gesten setzte, mit denen er seinen guten Willen hatte beweisen
wollen, seit er an die Macht gekommen war.
Rafael legte das Rasiermesser
beiseite und griff nach dem Glas mit Brandy. Es waren etwa zweihundert
Truppeneinheiten innerhalb der Mauern von Morovia stationiert, und er hatte
Barretts Wort darauf, daß sie bei Sonnenaufgang vor dem Palast zum Appell
antreten würden. Rafael hatte es so bestimmt, um den Männern, die den
Marktplatz überfallen hatten, eine Chance zu geben, sich zu melden und ihre
Schuld einzugestehen, obwohl er sehr bezweifelte, daß sie es tun würden.
Während dies über die Bühne
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