Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
aus Angst.
»Hören Sie, Rafael«, protestierte er. »Das Mädchen lügt ...«
»Er hat mich getreten«, sagte Annie.
»Ich schrie ihn an, aufzuhören, und er stieß mich mit einem Tritt zu Boden.
Glaubst du mir etwa nicht?«
»Natürlich glaube ich dir«, murmelte
Rafael gereizt, aber sein Ärger richtete sich auf den blonden, aristokratischen
Mann am Fuß der Treppe. »Hol Mr. Barrett, schnell«, sagte der Prinz zu einem
vorübereilenden Dienstboten.
Covington schwitzte jetzt, und ein
Muskel zuckte an seiner rechten Wange. Er fuhr sich mit einer Hand durch sein
perfekt frisiertes blondes Haar, und Annie kam der merkwürdige Gedanke, daß
dieser Mann nicht für das Soldatenleben geschaffen schien. Wie Lucian
erinnerte er mehr an einen Poeten oder Musiker — was nur bewies, daß Äußerlichkeiten
täuschten, denn es konnte weder Musik und ganz bestimmt keine Poesie in der
Seele eines derart grausamen Mannes wohnen.
»Ich werde es nicht dulden, Rafael«,
zischte er, während er mit zwei Fingern den steifen Kragen seines eleganten Hemds
lockerte. »Es ist eine grobe Beleidigung ...«
Rafael ließ Annie stehen und ging
die Treppe hinunter. »Sprechen Sie mir nicht von Beleidigungen, Leutnant Covington«,
warnte er mit gefährlich leiser Stimme. »Ich dulde eine solche Haltung nicht —
schon gar nicht von jemandem wie Ihnen.«
Covingtons braune Augen funkelten
vor Haß, als er den Blick auf Annie richtete. »Bin ich bereits verurteilt und
für schuldig befunden worden, ohne Prozeß und nur auf das Wort dieser Frau
hin?«
Der Prinz beantwortete die Frage
nicht, denn in diesem Augenblick kam Mr. Barrett, der ganz ungewöhnlich attraktiv
aussah in seiner Abendkleidung. Er warf einen Blick auf Covington und dann auf
Annie, obwohl seine eigentliche Aufmerksamkeit Rafael galt.
»Was gibt's?« fragte er.
Rafael deutete auf den Leutnant.
»Stellen Sie diesen Mann sofort unter militärischen Arrest. Annie ... Miss
Trevarren hat ihn als einen der Missetäter vom Marktplatz identifiziert.«
Barrett erbleichte und murmelte
einen Fluch, aber dann ergriff er Covingtons Arm. Der Gefangene riß sich los,
zupfte seinen Ärmel glatt und richtete seinen Kragen. Obwohl er sehr beherrscht
wirkte, war es für Annie offensichtlich, daß er innerlich schäumte.
Wahrscheinlich, dachte sie, hätte er sie mit bloßen Händen erwürgt, wenn sie
allein gewesen wären.
»Wagen Sie es nicht, mich
anzurühren«, sagte er zu Barrett, seinem ranghöheren Offizier, als wäre er der
Niedrigste unter dem Gesinde. Sein Blick glitt noch einmal zu Annie, bevor er
zum Verhör geführt wurde. »Sie werden büßen für diese Lüge, Miss«, sagte er,
»und Ihr Verhältnis mit dem Prinzen wird Sie nicht davor bewahren.«
»Genug!« rief Rafael erbost und
sagte zu Barrett: »Sorg dafür, daß er eingesperrt wird. Ich werde mich morgen
früh um die Sache kümmern.«
Barrett nickte und geleitete
Leutnant Covington aus dem Palast. Erst als sie gegangen waren, merkte Annie,
daß sich eine kleine Menschenmenge in der Halle versammelt hatte. Dienstboten
drängten sich neugierig im Hintergrund, und einige der Tänzer hatten den
Ballsaal verlassen und beobachteten die Vorgänge.
Rafael entließ sie alle mit einer
höflichen Handbewegung, und wie durch ein Wunder waren sie plötzlich wieder
ganz allein. Er streckte eine Hand nach Annie aus, und sie schritt langsam die
Treppe hinunter und legte ihre Hand in seine.
»Ich werde nicht zulassen, daß die
Untaten, die du mit angesehen hast, ungestraft bleiben«, versprach er ruhig,
als Annie ihm gegenüberstand. »Es wird ihm der Prozeß gemacht werden.«
Annie glaubte ihm und hatte ihn nie
mehr geliebt, aber einige wenige Worte konnten nicht rückgängig machen, was dem
armen Studenten zugestoßen war, oder den Händlern, deren Stände zerstört worden
waren. Annies naive Sicht der Welt war für immer verdorben. Obwohl sie nichts
sagte, war ihr klar, daß der Blick in ihren Augen Rafael sehr viel verraten
mußte.
»Komm«, sagte er und zog sie sanft
in Richtung Ballsaal. »Nach allem, was ich deinetwegen durchgemacht habe,
Annie, kannst du mich wenigstens mit einem Tanz belohnen.«
Annies Herz klopfte schneller bei
der Aussicht. Sie wollte Rafael St. James nicht lieben, aber es war bereits so
entschieden worden, von einer anderen, höheren Autorität, auf die sie keinen
Einfluß hatte. Die Begegnung mit Leutnant Covington hatte sie jedoch zutiefst
erschüttert, und sie hatte noch immer große Angst.
»Du
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