Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
Kopfende der Tafel saß.
Er schien das Essen, das vor ihm
stand, zu ignorieren; seine Ellbogen ruhten auf dem Tisch, und er betrachtete
seine verschränkten Hände. Als er merkte, daß Annie eingetreten war, erhob er
sich abrupt, wobei er fast den Stuhl umstieß, und setzte sich dann ebenso
hastig wieder hin.
Annie wunderte sich über seine
Ungeschicklichkeit, denn immerhin war er aufgrund seiner jahrelangen
Fechtübungen einer der gelenkigsten Männer, denen sie je begegnet war. Doch
natürlich gab es viel, was ihn in diesem Augenblick belastete - die politischen
Probleme seines Landes, Phaedras bevorstehende Hochzeit, die die Situation noch
erheblich erschweren würde, und das ungewisse Verhältnis zwischen ihm und
Annie.
Sie nahm sich einen Teller, füllte
ihn mit einigen der auf dem Büfett angerichteten Speisen und setzte sich zu
Rafael an den Tisch, wobei sie jedoch darauf achtete, ihm nicht zu nahe zu
kommen. Jeder Nerv in ihrem Körper war zum Leben erwacht, als sie ihn gesehen
hatte, eine Nachwirkung ihrer gestrigen Liebesnacht vermutlich, und sie
befürchtete, daß sie die Beherrschung über sich verlor, falls seine Hand die
ihre auch nur streifte.
Ihre Stimme zitterte ein wenig, als
sie sich endlich dazu durchrang, etwas zu sagen. »Lucian erzählte mir, daß du
Jeremy Covington hergebracht hast, um ihm den Prozeß zu machen.«
Rafael gab es auf, so tun zu wollen,
als ob er äße, und schob seine Teller fort. Ein Weinglas in der Hand, lehnte er
sich bequem zurück und betrachtete Annie mit erhobenen Augenbrauen. »Seit wann
bist du die Vertraute meines Bruders?« fragte er, doch seinem Ton war nicht zu
entnehmen, welche Stimmung ihn in diesem Augenblick beherrschte.
Sie klappte ein kleines Sandwich auf
und streute Pfeffer auf den undefinierbaren Belag zwischen den Brotscheiben.
»Wir haben das Kriegsbeil begraben«, erwiderte sie, während sie Rafael unter
gesenkten Lidern betrachtete. »Er hat mir heute morgen mehrere Fluchtwege aus
der Burg gezeigt. Glaubst du, daß die Tunnel in den Gewölben nach so vielen
Jahren der Vernachlässigung noch zu gebrauchen sind?«
Rafaels Faust prallte so hart auf
den Tisch, daß Kristall und Silber klirrten und Annie verblüfft zusammenzuckte.
»Verdammt, Annie — verbringst du deine Tage und Nächte damit, dir auszudenken,
wie du mich am besten in den Wahnsinn treiben kannst?«
Annie errötete und tat, als würde
sie die Serviette auf ihrem Schoß glattstreichen. »Das kommt darauf an. Ich
glaube, gestern nacht ist es mir schon recht gut gelungen.«
Rafael gab sich trotz seines Ärgers
Mühe, nicht zu laut zu werden. »Ich möchte, daß du dich von Lucian fernhältst«,
sagte er. »Mein Bruder ist kein rechtschaffender Mensch und hegt keine
ehrenhaften Absichten in bezug auf dich.«
»Ach?« Annie tat, als wäre ihr diese
Möglichkeit noch nie in den Sinn gekommen. Männer! »Und was beabsichtigt
er, wenn ich fragen darf?«
Rafael leerte sein Weinglas, bevor
er antwortete. »Er will dich heiraten.«
Das überraschte Annie, aber sie ließ es
sich nicht anmerken, denn es regnete noch immer, Phaedra war nirgends aufzufinden,
und die Gewölbe unter der Burg hatte sie auch bereits erforscht. Rafael zu
ärgern war möglicherweise der einzige Spaß, den sie an diesem Tag finden würde.
»Entschuldige bitte«, begann sie mit
übertriebener Liebenswürdigkeit, während sie mit der Serviette ihren Mund
abtupfte, »aber du scheinst die Dinge wieder einmal vollkommen falsch zu
sehen, Hoheit. Einer Frau die Ehe anzubieten ist etwas durchaus
Ehrenhaftes. Vor allem, wenn man ...« sie hielt inne, hüstelte geziert und
senkte ihre Stimme — »ihre Gunst bereits genossen hat.«
Rafael errötete bis unter die
Haarwurzeln. »Dann heirate den kleinen Lump doch«, zischte er. »Vielleicht
komme ich dann endlich dazu, meine Arbeit hier zu tun!«
Annie erkannte, daß sie vielleicht
ein bißchen zu weit gegangen war. »Gib dich keinen falschen Hoffnungen hin,
Hoheit«, entgegnete sie rasch. »Ich habe es dir schon einmal gesagt — wenn ich
dich nicht haben kann, werde ich als alte Jungfer sterben.« Sie ließ den Worten
einen verträumten Seufzer folgen. »Ich könnte mir vorstellen, daß ich dann in
einer alter Villa irgendwo auf einem zerklüfteten Felsen leben würde, am Rande
eines windgepeitschten Moors, wo ich Gedichte schreiben und nachts in fließenden
weißen Gewändern umherstreifen würde, bis alle Leute in der Umgebung glaubten,
ich besäße Zauberkräfte
Weitere Kostenlose Bücher