Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
Lampe zu flackern anfing, schlief Annie ein.
Sie erwachte schon sehr früh am nächsten
Morgen, beherrscht von einer eigenartigen, drängenden Unruhe und Erregung.
Irgend etwas würde geschehen, und zwar bald, obwohl sie nicht hätte sagen
können, was.
Der Regen hatte aufgehört, die Welt
war wieder sauber, und für Annie genügte das, im Moment zumindest.
Sie wusch sich und kleidete sich
rasch an, Reitrock, Stiefel und Bolero, und war nur leicht enttäuscht, als sie
den Speisesaal leer
antraf. Unter den gegebenen Umständen war es wahrscheinlich ohnehin besser,
wenn sie und Rafael einander nicht zu oft begegneten.
Nachdem sie sich einen Apfel aus der
Obstschale genommen und Eier, Brot und Würstchen stehengelassen hatte, ging
sie eilig auf den Hof hinaus. Die Luft war frisch und klar, die Sonne schien
hell vom Himmel.
Doch trotz der Schönheit dieses
Morgens begegnete Annie überall Hinweisen auf den nahen Krieg. Bewaffnete
Wächter patrouillierten auf den hohen Türmen, und das ohrenbetäubende Klirren
von Stahl auf Stahl bedeutete, daß die Soldaten für den kommenden Kampf übten.
Wagen und Karren, beladen mit Lebensmitteln und Gemüse, rollten durch die Tore,
und Leute aus nahen Dörfern und Bauernhöfen suchten und fanden Zuflucht in der
Burg.
Annie blieb eine Weile stehen und
lauschte, während einer von Mr. Barretts Männern mit den verängstigten Bauern
sprach. Es gab natürlich keine Möglichkeit festzustellen, ob sie loyale
Untertanen des Prinzen waren oder nur verkleidete Rebellen. Den Worten nach,
die Annie die Soldaten sagen hörte, hatte Rafael Anweisung gegeben, daß
niemand, der beim Eintritt Bündnistreue schwor, abgewiesen werden durfte.
Da es ihr jedoch nicht richtig
schien, untätig dabeizustehen und zu beobachten, überquerte Annie den Hof und
ging durch die Gärten auf das Dorf zu, wohin sich die meisten der Flüchtlinge
wandten. Als sie es erreichte, sah sie noch zwei weitere von Rafaels Männern,
die damit beschäftigt waren, Lebensmittel und Decken an die Neuankömmlinge zu
verteilen, denn es gab nicht genug Häuser für alle, und das Gras war noch naß
vom Regen.
Annie drängte sie durch die Menge,
bis sie die beiden Soldaten erreichte, die vollkommen überlastet wirkten. Hier
stieg sie auf den hinteren Teil des Vorratswagens, klatschte in die Hände, um
die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen, und forderte sie auf, sich in einer
ordentlichen Reihe anzutellen.
Nach viel Hin und Her war eine Art
Ordnung hergestellt, und Annie schickte die Soldaten zum Burghof zurück, um
noch mehr Decken und Vorräte zu holen, und vielleicht auch Zelte, falls sie
welche fänden.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel,
als der Strom der Flüchtlinge endlich abbrach. Die Decken waren aufgebraucht,
den Aussagen eines der Soldaten nach, und eine Anzahl von Dorfbewohner war an
einem milden Fieber erkrankt. Auf Annies Anweisung hin wurden die schlimmsten
Fälle in die Kapelle gebracht, wo die Bänke als Betten dienen würden.
Annie beruhigte weinende Kinder und
verängstigte Mütter, gab den Kranken in der Kirche Wasser und vermittelte
ihnen Trost. Einige der Dienstboten aus der Burg kamen ihr zu Hilfe, aber die
meiste Arbeit wurde von den Frauen aus dem Dorf getan. Gegen Abend war Annies
Haar wirr und aufgelöst, und ihr Reitrock, steif von getrockneten Schlammspritzern,
ruiniert. Sie war vollkommen ausgehungert, erschöpft bis in die Knochen und
zutiefst betrübt, weil sie jetzt zu verstehen begann, was ein Krieg für diese
Menschen und andere wie sie im Land bedeuten würde.
Sie stand draußen vor der
Kapellentür, einen fiebernden Säugling im Arm, und beobachtete den
Sonnenuntergang, als Rafael vorbeikam, sie zufällig bemerkte und wie vom Schlag
getroffen stehenblieb. Ein grimmiger Ausdruck prägte sein Gesicht, als er ihre
unordentliche Erscheinung musterte.
»Was machst du hier?« fragte er in
ruhigem, seltsamem Ton.
»Ich versuche zu helfen.«
Sein Gesicht lag im Halbdunkel, sie
konnte seinen Ausdruck nicht erkennen. »Ich will deine Hilfe nicht.«
»Du vielleicht nicht«, erwiderte
Annie leise, weil das Baby in ihren Armen zu wimmern begonnen hatte. »Aber
diese Leute schon.«
Rafaels Seufzer klang barsch und
ungeduldig. »Sie haben Lebensmittel und einen Unterschlupf erhalten.«
»Sie sind verängstigt«, erwiderte
Annie, »und einige von ihnen sind krank. Sie haben sehr lange gehungert,
Rafael.«
Er schwieg erschüttert, und Annies
Herz flog ihm zu, weil sie wußte, daß er alles,
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