Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
...«
»Blödsinn«, unterbrach Rafael sie
grob. »Du wirst nach Amerika heimkehren und einen soliden, respektablen Mann
heiraten — einen Anwalt oder einen Bankier vielleicht. Dafür wird dein Vater
sorgen. In zehn Jahren wirst du sechs Kinder haben, die ständig auf alle
möglichen Dinge klettern, und du wirst zwar etwas mehr Platz auf einem Kutschersitz
in Anspruch nehmen, aber noch immer eine schöne, üppige Frau sein. Und sobald
du diese albernen, romantischen Ideen über nächtliches Herumtreiben im Moor
vergessen hast, wirst du auch eine gute Ehefrau sein.« Er füllte sein Weinglas
nach und hob es zu einem spöttischen Toast. »Du ahnst gar nicht, wie sehr ich
deinen zukünftigen Mann um das Glück beneide, für den Rest eines langen,
glücklichen Lebens Nacht für Nacht neben dir liegen zu dürfen!«
Annie wußte nicht, was sie darauf
erwidern sollte. Rafael hatte die unglaublichsten Dinge von sich gegeben, aber er
hatte sie nicht beleidigt — oder? Mit flammend roten Wangen, die Hände im Schoß
verschränkt, saß sie vor ihm und schwieg.
»Bis dahin jedoch«, schloß Rafael
mit leiser, ernster Stimme, »wirst du tun, was ich dir sage, und dich von
Lucian fernhalten. Er ist nichts weiter als ein Geier.«
»Charmant, charmant«, ertönte eine
Stimme von der Tür her. Annie brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, daß
es Lucian war, der jetzt in liebenswürdigem Ton fortfuhr: »Ich bin am Boden
zerstört, Rafael. Ich dachte, wir machten Fortschritte, wir beide, und lernten
endlich, Brüder zu sein und all diesen sentimentalen Quatsch.«
Mit einem leisen, verächtlichen
Geräusch, das tief aus seiner Kehle kam, sprang Rafael auf und packte Lucian
an den Rockaufschlägen. Es sah fast so aus, als hätte er den Verstand verloren,
als er seinen Bruder grob auf Annie zustieß.
»Willst du ihn?« herrschte der Prinz
sie an, als ob er von allen guten Geistern verlassen wäre. »Dann nimm ihn dir!«
Damit stürmte Rafael hinaus, und wie
um seinem Zorn mehr Nachdruck zu verleihen, erschütterte ein weiterer, heftiger
Donnerschlag die Burg.
Lucian zupfte pikiert den Kragen
seines Rocks zurecht und schaute seinem Bruder nach. »Ich habe wohl zuviel
erwartet, und zu schnell«, murmelte er.
Annie war mit ihren Gedanken jedoch
weder bei Rafaels Wutanfall noch bei dem sturmgeplagten Frieden, den er
anscheinend mit Lucian geschlossen hatte. Nein, sie dachte daran, daß die
Verliese der Burg mit abtrünnigen Soldaten gefüllt waren, und fragte sich, was
Rafael mit ihnen vorhatte.
Während sie ihre Mahlzeit beendete,
hörte sie nur mit halbem Ohr zu; was Lucian ihr von seinen Erlebnissen als Soldat
erzählte — man hätte glauben können, daß er mit Hannibal die Alpen überquert
hatte, statt eine knappe Woche lang als Soldat der königlichen Garde gedient zu
haben. Sobald Annie ihren Teller geleert hatte, entschuldigte sie sich, stand
auf und ging.
Sie fragte das erste Dienstmädchen,
dem sie begegnete ein junges Ding, das frischen Kaffee in den Speisesaal
brachte —, nach Phaedra.
Das Mädchen wandte den Blick ab und
nickte respektvoll. »Ich habe sie vorhin gesehen, Miss. Sie verlangte ein
heißes Bad, das ich ihr vorbereitet habe, weil sie ausgeritten und in den Regen
gekommen war. Ich habe ihr gesagt, daß sie sich noch den Tod holt, wenn sie
nicht vorsichtiger ist.
Ihre Worte beunruhigten Annie, aber
sie konnte sehen, wie schwer die Kaffeekanne war, und wollte das Mädchen nicht
von seinen Pflichten abhalten. Sie bedankte sich und ging.
Sie fand Phaedra in ihrem Zimmer, wo
sie mit blassem Gesicht im Bett lag und heißen Tee trank. Ihr dunkles Haar war
noch feucht, und sie trug ein blaues Bettjäckchen.
»Komm mir jetzt bloß nicht mit
Vorträgen, daß man bei Regen nicht ausreiten soll«, warnte Phaedra, noch bevor
Annie etwas äußern konnte. »Du hättest es selbst auch getan, wenn du auf die
Idee gekommen wärst.«
Annie seufzte. »Ich bin nicht
hergekommen, um dich auszuschelten«, sagte sie. »Ich wollte mich nur
überzeugen, daß du wohlauf bist.«
Phaedra wandte für einen Moment den
Blick ab. »Nur noch zwei Wochen bis zur Hochzeit«, sagte sie und schaute Annie
wieder an. »Vorausgesetzt natürlich, daß Rafael das Land solange zusammenhalten
kann. Wußtest du, daß unzählige Gäste zur Hochzeit kommen, Annie — trotz der
Rebellen auf den Straßen und einer Hauptstadt, die in Schutt und Asche liegt?
Seit Tagen treffen schon Botschaften und Zusagen ein.«
Die politische Lage in Bavia
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