Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Qual (German Edition)

Qual (German Edition)

Titel: Qual (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King , Richard Bachman
Vom Netzwerk:
er aufgerufen wurde. Während seines Umherschauens sah er auch zu Johnny Cheltzman rüber, der mit den Händen auf dem Tisch auf seinem Stuhl neben der Tür des Bücherschranks lümmelte. Falls die Zahl, die der Richter hören wollte, zehn oder darunter war, würde die Anzahl der sichtbaren Finger die Antwort sein. Wenn es ein Bruch war, hatte John die Hände zu Fäusten geballt. Dann öffneten sie sich. Er machte das ziemlich schnell. Die linke Hand war der Zähler des Bruchs, die rechte Hand war der Nenner. Wenn der Nenner größer als fünf war, ballte Johnny wieder die Fäuste und benutzte dann beide Hände. Blaze hatte nicht die geringsten Schwierigkeiten mit dieser Zeichensprache, die wohl vielen erheblich komplexer erschienen wäre als die Brüche, die sie darstellte.
    »Und, Clayton?«, fragte der Richter. »Wir warten.«
    Und Blaze sagte dann: »Ein Sechstel.«
    Er musste nicht immer die richtige Antwort kennen. Als er George davon erzählte, hatte George zustimmend genickt. »Ein netter kleiner Beschiss. Wann ist’s aufgeflogen?«
    Es flog drei Wochen nach Beginn des Schulhalbjahres auf, und wenn Blaze darüber nachdachte – er konnte denken, es dauerte einfach nur ein bisschen länger und war richtig harte Arbeit –, dann begriff er auch, dass der Richter schon die ganze Zeit misstrauisch gewesen sein musste, was Blazes erstaunliche mathematische Entwicklung betraf. Er hatte sich nur nichts anmerken lassen. Er hatte Stück für Stück das Seil abrollen lassen, das Blaze brauchte, um sich selbst zu hängen.
    Es gab einen Überraschungstest. Blaze rasselte mit null Punkten glatt durch. Und zwar weil es bei diesem Test ausnahmslos
um Brüche ging. Der Test war eigentlich nur aus einem einzigen Grund geschrieben worden, und der war, Clayton Blaisdell jr. zu überführen. Unter der vernichtenden Note stand eine Anmerkung in leuchtend roten Buchstaben. Blaze konnte sie nicht entziffern, deshalb ging er damit zu John.
    John las. Er blieb einen Moment lang ganz still. Dann sagte er zu Blaze: »Hier steht: ›John Cheltzman wird wieder verdroschen werden.‹«
    »Was? Hä?«
    »Da steht: ›Melde dich um vier in meinem Büro.‹«
    »Wozu?«
    »Weil wir die Tests vergessen haben«, sagte John. »Nein, du hast gar nichts vergessen. Ich hab’s vergessen. Weil ich an nichts anderes denken konnte, als wie ich es schaffe, dass diese dumpfen Brutalos mir nicht mehr wehtun. Jetzt wirst du mich verdreschen, dann wird der Richter mich durchprügeln, und anschließend legen die Brutalos wieder los. Mein Gott, ich wünschte, ich wäre tot.« Und genau so sah er auch aus.
    »Ich werde dich nicht verdreschen.«
    »Nein?« John sah ihn mit einem Ausdruck in den Augen an wie jemand, der schon gern glauben würde, was er hört, es aber nicht kann.
    »Du konntest ja schlecht den Test für mich schreiben, oder?«
     
    Martin Coslaws Büro war ein ziemlich großer Raum mit der Beschriftung REKTOR an der Tür. Es gab eine kleine Tafel darin, gegenüber vom Fenster. Aus dem Fenster sah man auf
den erbärmlichen Schulhof vom Hetton House. Die Tafel war überzogen mit Kreidestaub und – Blazes Untergang – Brüchen. Coslaw saß hinter seinem Schreibtisch, als Blaze hereinkam. Er runzelte normalerweise über nichts die Stirn. Blaze gab ihm etwas, worüber er die Stirn runzeln konnte. »Anklopfen«, sagte er.
    »Hä?«
    »Geh noch mal raus und klopf an«, sagte der Richter.
    »Oh.« Blaze drehte sich um, ging hinaus, klopfte an und kam wieder herein.
    »Danke.«
    »Schon okay.«
    Coslaw sah Blaze weiter stirnrunzelnd an. Er nahm einen Stift und fing an, damit auf den Schreibtisch zu klopfen. Es war ein roter Korrekturstift. »Clayton Blaisdell jr.«, sagte er. Er grübelte. »So ein großer Name für so einen kleinen Geist.«
    »Die anderen Kids nennen mich …«
    »Es ist mir gleichgültig, wie die anderen Kids dich nennen, ein Kid ist ein Zicklein, Kid ist ein umgangssprachliches Wort, das nur Idioten gebrauchen. Mir ist das Wort egal, und mir sind diejenigen egal, die es benutzen. Ich unterrichte Rechnen, meine Aufgabe besteht darin, junge Burschen wie dich auf die Highschool vorzubereiten – soweit da überhaupt etwas vorzubereiten ist – und ihnen ebenfalls den Unterschied zwischen Richtig und Falsch beizubringen. Würden sich meine Pflichten auf das Unterrichten des Rechnens beschränken – und manchmal wünschte ich, es wäre so, häufig sogar wünschte ich das –, wäre dies nicht der Fall, aber ich bin gleichzeitig der

Weitere Kostenlose Bücher