Quicksilver
bestürzt und fragte sich, was wohl mit ihm passieren würde, wenn zum ersten Mal irgendeine französisch erzogene Gräfin die Krallen in ihn schlüge. Wilhelm hatte Recht gehabt. Daniel Waterhouse war ein Sicherheitsrisiko.
»Äh... ich wäre alles andere als ehrlich, wenn äh...«, stammelte er. »Auf Französisch klang es galant. Auf Englisch gespreizt. Ich habe mich gefragt... wo doch die internationalen Beziehungen sich derzeit so schwierig gestalten, und noch schwieriger die zwischen den Geschlechtern, und ich auf dem Gebiet der Etikette eher schwach bin … ob es überhaupt irgendeinen Vorwand gibt, unter dem ich mich mit Euch unterhalten oder Euch schreiben könnte, ohne Anstoß zu erregen.«
»Ist denn das Abendessen hier nicht gut genug?«, hatte sie mit kokett gespielter Gekränktheit gefragt, und in diesem Moment war Fatio eingetroffen. In Wirklichkeit hatte sie ihn über den Plein kommen sehen und den Zeitpunkt entsprechend abgepasst. Waterhouse war gezwungen, zur Seite zu treten, im eigenen Saft zu schmoren und eine geistige Generalabrechung seiner Fehler und Mängel vorzunehmen, während Eliza und Fatio ein Begrüßungsritual inszenierten, das geradewegs aus dem Salon des Apollo zu Versailles stammte. Es hatte viel mit einem höfischen Tanz gemeinsam, wies jedoch auch Anklänge an ein Duell auf; Eliza und Fatio tasteten einander gleichsam ab, indem sie durch Kleidung, Gestik, Modulation und Bedeutung kodierte Signale aussandten und dann mit der brillanten Wachheit von Degenfechtern darauf achteten, ob der jeweils andere sie wahrgenommen hatte und wie er darauf reagierte. Als jemand, der erst kürzlich vom Hofe des Sonnenkönigs gekommen war, hatte Eliza die Oberhand; die Frage war, welches Maß an Hochachtung sie Fatio entgegenbringen sollte. Wäre er Katholik, Franzose und adelig gewesen, hätte das festgestanden, noch bevor er zur Tür hereinkam. Aber er war Protestant und Schweizer und kam aus einer vornehmen Familie ohne besonderen Rang. Nach Elizas Schätzung war er Anfang zwanzig, obwohl er sich älter zu machen versuchte, indem er sehr gute französische Kleidung trug. Er war kein gut aussehender Mann: Er hatte riesige blaue Augen unter einer hohen, kuppelartigen Stirn, doch die untere Hälfte seines Gesichts war zu klein, seine Nase ragte wie ein Schnabel vor, und er legte insgesamt die anstrengende Hektik eines gefangenen Vogels an den Tag.
Irgendwann musste Fatio die Augen von Eliza losreißen und die gleiche Art von Tanz plus Duell mit Waterhouse beginnen. Und wäre er Fellow der Royal Society oder Doktor an irgendeiner Universität gewesen, hätte wiederum Waterhouse eine gewisse Ahnung gehabt, was er von ihm zu halten hatte. So aber musste Fatio seine Referenzen und seine Integrität gleichsam aus dem luftleeren Raum heraufbeschwören, indem er Namen fallen ließ, Anspielungen einflocht auf Bücher, die er gelesen, Probleme, die er gelöst, aufgeblähte Reputationen, denen er die Luft abgelassen, Experimente, die er durchgeführt, Geschöpfe, die er gesehen hatte. »Ich hatte halb damit gerechnet, Mr. Enoch Root hier zu treffen«, sagte er irgendwann und blickte sich um, »denn ein (ähem) Herr aus meiner Bekanntschaft hier, der in (ähem) chemischen Studien dilettiert, hat mir ein Gerücht mitgeteilt – nur ein Gerücht, wohlgemerkt -, demzufolge ein Mann, auf den Roots Beschreibung passt, neulich mit einem Kanalschiff aus Brüssel hier angekommen sei.« Während Fatio diese Nachricht immer dünner auswalzte, zuckten seine riesigen Augen mehrfach zu Waterhouse hin. Gewisse französische Adlige hätten gezwinkert oder sich interessiert über den Schnurrbart gestrichen; Waterhouse bot nichts als einen Basiliskenblick.
Das war das letzte Mal, dass Fatio etwas zur Alchimie zu sagen hatte; von diesem Zeitpunkt an ging es nur noch um Mathematik und um die neue Arbeit von Newton. Eliza wusste sowohl von Leibniz als auch von Huygens, dass dieser Newton irgendeine Abhandlung geschrieben hatte, die sämtliche anderen Naturphilosophen in abgrundtiefe Verzweiflung gestürzt und die Tinte an ihren Federkielen völlig hatte austrocknen lassen, und so konnte sie Fatio hier folgen. Ab und zu allerdings wandte er seine Aufmerksamkeit Eliza zu und fiel in höfisches Posieren zurück. Er bewältigte die ganze Mühsal ohne erkennbare Anstrengung, was sehr für seine Ausbildung und das Gesamtgleichgewicht seiner Säfte sprach. Zugleich wurde Eliza schon vom bloßen Zusehen müde. Von dem Moment an, wo er
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