Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
Tüchern.
Um die Bahre hatten die Anwesenden einen Kreis gebildet, Raven trat zwischen Tomin und Edna. Beron, der wieder bei Bewusstsein war, stützte seine Frau, und Raven wünschte, auch er hätte jemanden, der ihn in den Arm nehmen und ihm Halt geben würde.
Gorik, der die ganze Zeit auf seiner Schulter gesessen hatte, war beim Eintritt in den Tempel aufgeflogen und hatte sich im mittleren der drei hohen Fenster niedergelassen. Auch der Götterbote war in seinem Versuch, Kara zu retten, gescheitert, dachte Raven. Ihr Tod schien den Raben genauso sehr zu treffen wie ihn.
Ylda trat vor an das Holzlager und fuhr mit der Hand über das Gesicht ihrer verstorbenen Tochter. Für einen Moment entdeckte Raven unter der harten Fassade der Fürstin eine Mutter, die den Tod ihres Kindes betrauerte. Der Tempelherr reichte ihr eine Fackel und die Fürstin führte das Feuer an Karas bedeckte Füße. Sofort sprangen die Flammen auf die öligen Laken über und färbten sich im selben Augenblick blaugrün. Ein letztes Zeichen der Hochachtung, hatte Theon ihnen erklärt. Nach einiger Zeit würde das Feuer rot werden und die Seherin mit sich nehmen.
Ylda legte die Fackel neben den Holzstoß und ging in den Kreis zurück. Kaum hatte sie ihren Platz wieder eingenommen, begann der Gesang – leise und voll Traurigkeit.
Raven spürte, wie Tränen über sein Gesicht liefen. Wie sollte er jeden neuen Tag ertragen mit der Gewissheit, ihn ohne Kara verbringen zu müssen? Was nützte ihm die Fürstenkrone und alle Macht, wenn er alleine war?
Mit den Fingern wischte er sich über die Augen und sah zu dem Feuer, das Kara inzwischen vollständig umschloss. Vorhin hatte er ihr nicht gesagt, dass er sie immer noch liebte. Zwar hatte er es gedacht , aber er hatte es nicht ausgesprochen. Er hatte den letzten Moment, den er mit ihr hatte, ungenutzt verstreichen lassen.
Bevor Raven begriff, was er tat, löste er sich aus dem Kreis. Wenn er es ihr jetzt nicht sagte, würde er es für immer bedauern, denn es war die letzte Gelegenheit, sie dabei anzusehen – auch wenn sie ihn nicht mehr hören konnte.
Vor den lodernden blaugrünen Flammen kniete er sich auf den Boden. Auch dieses Mal ging von den Flammen keine Hitze aus, er streckte seinen Arm in das Feuer und legte seine Hand an Karas Gesicht.
Aufgeregtes Murmeln erhob sich hinter ihm, doch Ravens Bewusstsein war ganz auf Kara gerichtet. »Ich liebe dich«, sagte er leise. »Bei allem, was ich gesagt und getan haben mag, habe ich dich stets geliebt – obwohl ich es lange nicht wahrhaben wollte. Du warst die Sonne, die nach Jahren der Dunkelheit mein Leben erhellt hat. Der Glaube, du hättest dich von mir abgewandt, hat mich in meinem Schmerz Dinge sagen lassen, die ich aufs Tiefste bedauere.«
Raven schluckte, um das Brennen in seiner Kehle zu vertreiben und weitersprechen zu können. »Ich habe versucht, Frieden zu stiften und bin gescheitert. Auch dafür bitte ich dich um Verzeihung.« Er beugte sich vor, bis sein Gesicht fast das ihre berührte. »Du magst tot sein, längst neben der Großen Mutter sitzen und mich vergessen haben – ich werde mich an dich erinnern bis ans Ende meiner Tage.«
Zärtlich senkte er seine Lippen auf die ihren hinab und küsste sie. Die Flammen züngelten um sie beide empor und Zeit und Raum verschmolzen zu einer Ewigkeit. Raven schloss die Augen, um den Moment für immer in seinem Herzen zu bewahren ...
Nur widerwillig öffnete er seine Lider wieder. Er musste von Kara lassen, sie gehörte nun der Göttin, er hatte kein Recht mehr auf sie. Sanft hauchte er einen letzten Kuss auf ihren Mund und wollte sich aufrichten, aber es ging nicht: Jemand hielt ihn fest.
Raven blinzelte verwirrt, doch er irrte sich nicht. Kara hatte ihre Arme um ihn geschlungen! Er erbleichte. Bei der Göttin, wie war das möglich?
In diesem Moment schlug Kara ihre Augen auf und sah ihn an. »Die Große Mutter hat mich gefragt, ob ich zurück zu den Menschen möchte.« Sie lächelte schwach. »Ich habe gesagt, ich will zu dir – wo immer es sein wird.«
Fassungslos starrte Raven sie an. Er öffnete den Mund, ohne einen Ausdruck zu finden für das, was gerade geschehen war. Dann, ganz langsam, hob er seine Hand, strich über Karas Wange und spürte ihren Atem an seinen Fingern. Es war kein Traum, sie lebte wieder.
»Kara«, flüsterte er. »Kara.«
Sie fuhr mit ihren Fingerspitzen über seine Lippen. In dieser kleinen Berührung lag so viel Zärtlichkeit, dass Ravens Herz
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