Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
hinüber.
»Nur zu, Prinzessin.« Der ältere Bruder machte eine Handbewegung zum Wagen. »Stört es Euch, wenn wir währenddessen weiterarbeiten? Wir müssen vor Sonnenuntergang die Grube zugeschüttet haben, damit die Tiere die Toten nicht wieder herausziehen.«
Kara schüttelte stumm den Kopf und wartete, bis die Männer den nächsten Leichnam vom Karren gezerrt hatten und zur Grube trugen. Gorik gab leise, helle Töne von sich, die sie scheinbar ermutigen sollten, aber es nützte nicht viel. Sie schloss die Augen und versuchte sich für das zu wappnen, was sie gleich erblicken würde. Er ist tot , sagte sie sich, egal was du siehst, er spürt keinen Schmerz mehr . Langsam hob sie die Lider und wandte sie sich zu dem Fuhrwerk um.
Als sie Raven erblickte, stieß Kara einen erstickten Schrei aus. Er lag auf dem Rücken neben den Leichen zweier Frauen – Huren, wie es schien –, und sein Körper war aufs Übelste misshandelt. Die Brand- und Schnittwunden auf Bauch, Brust und Armen vermochte sie nicht zu zählen. Sein Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit geschwollen, die Haare verklebt und dunkel gefärbt von Blut. Mehr noch als seine von Schlägen aufgeplatzten Lippen und die blutunterlaufenen Augen war es sein steifer Arm, der sie entsetzte: Er war in unnatürlicher Haltung von seinem Körper abgewinkelt und musste mehrmals gebrochen worden sein.
Tränen rannen über ihre Wangen. »Es tut mir so unsagbar leid«, flüsterte sie dumpf und griff Halt suchend an den Wagen. Selbst im Tod wirkte Ravens Gesicht schmerzverzerrt, und sie war froh, dass wenigstens seine Augen geschlossenen waren. »Ich werde dich niemals vergessen.« Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, strich zärtlich mit den Fingern an seinem Gesicht entlang und erstarrte. Seine Haut war warm und an ihrer Hand spürte sie einen schwachen Luftzug.
Hastig ließ sie ihn los und drehte sich zu den Totengräbern um. »Er lebt noch!«, schrie sie den beiden aufgeregt zu und wischte sich ihre Augen trocken.
»Aber nicht mehr lange«, gluckste der Jüngere.
Karas Hände ballten sich zu Fäusten und sie musste sich beherrschen, nicht zu dem Mann zu laufen und ihn dorthin zu treten, wo es wirklich wehtat! »Als Fürstin Yldas Tochter verlange ich«, rief sie mit aller Entschlossenheit, welche die Hoffnung ihr verlieh, »dass ihr mich und ihn sofort nach ...« Ja, wohin eigentlich? Nach Tharwyn zurückzukehren war viel zu gefährlich. »... in ein nahes Dorf fahrt, wo er Hilfe bekommt.«
»Dem hilft nichts mehr, Prinzessin.« Der Ältere kam auf sie zu und sein Gesicht hatte einen fürsorglichen Ausdruck angenommen. »Wenn wir die Grube zugeschüttet haben, fahren wir Euch zum Friedensfeld, wo die anständigen Bewohner Tharwyns bestattet werden. Ihn in geweihter Erde beerdigen zu lassen ist das Einzige, was ihr für den armen Kerl noch tun könnt.«
Kara öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch in ihrem Innern wusste sie, dass der Totengräber recht hatte: Raven würde aus seiner Bewusstlosigkeit nicht mehr erwachen – seine Verletzungen war zu schwer. Ein Zittern erfasste ihren Körper, und sie schlang die Arme fest um sich. Die Erkenntnis war bitter: Sie war erneut zu spät gekommen.
Wenigstens würde sie in seinen letzten Stunden bei ihm sein, auch wenn Raven nichts mehr von ihrer Nähe mitbekommen würde. Sie wandte sich von den Brüdern ab, um zu Raven auf die Ladefläche zu steigen, als der Klang ihres Namens sie abrupt innehalten ließ. Überrascht hob sie den Kopf und sah in die Richtung, aus der die vertraute Stimme gekommen war. An der Stelle, wo Gorik gesessen hatte, stand – wie aus dem Nichts aufgetaucht – Jorin!
Eigentlich hätte sie sich wundern müssen, wie der Barde dorthin kam, aber zu ihrem eigenen Erstaunen tat sie es nicht. Sie lief um das Fuhrwerk herum und fiel dem alten Mann in die Arme. »Raven wird sterben«, schluchzte sie, »und wir können es nicht mehr verhindern.«
»Das werden wir sehen.« Tröstend strich er ihr über den Rücken, dann löste er sich sanft aus ihrer Umklammerung. »Ich werde Raven in eine Hütte bringen, die sich hier in der Nähe im Wald befindet. Kommst du mit mir?«
Sie nickte stumm. In friedlicher Abgeschiedenheit mit Raven die letzten Stunden zu verbringen, war besser als eine Fahrt mit den beiden Totengräbern über holprige Wege.
Jorin lächelte ihr zu, dann kletterte er über die Deichsel auf den Wagen und beugte sich zu Raven hinunter. Mit leisen, zärtlichen Worten sprach er auf ihn
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