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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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diese Pflicht erkennt, sondern stattdessen seine Lehrlinge von der Straße aufsucht.«
    Mion fühlte sich wie mit Eiswasser übergossen. Für einen Augenblick war sie wieder das Ruinenmädchen, barfuß, arm und ungebildet, als hätten die Worte der Schauspielerin ihr elegantes Äußeres einfach weggeschwemmt. Ein Diener kam mit einem Tablett silberner Weinkelche. Die meisten Umstehenden nahmen sich einen Kelch, auch Jagu, der der spitznasigen Frau damit zuprostete.
    »Gewiss tut Ihr recht daran, Euch um das Aussterben der Gildenfamilien zu sorgen, teuerste Lydalas. Aber wie sich gezeigt hat, bringt nicht nur altes Künstlerblut Talente hervor: Eine leibliche Tochter könnte nicht begabter sein als Mion.«
    »Aber es geht nicht nur um Begabung, nicht wahr?«, erwiderte Lydalas mit haarsträubender Liebenswürdigkeit. Ihre Stimme hatte etwas von einer Katze an sich, die mit schwenkendem Schwanz auf den richtigen Zeitpunkt wartet, die Krallen auszufahren. »Wir sind den Drachen verpflichtet und haben uns an Traditionen zu halten. Sonst könnte ja jeder Bauernsohn und jede Küchenmagd ein Gildenmitglied werden.«
    »Dagegen gibt es kein Gesetz«, fiel eine Dame mit einem großen Fächer ein. »Doch wer will schon jemanden aus dem Volk adoptieren und ihm den alten Familienbesitz überschreiben? Es muss schon einen triftigen Grund geben.« Und als läge dieser in Mions Erscheinung verborgen, musterte die Dame sie vom Saum ihres Kleides bis zu ihren aufgesteckten Haaren mit schamloser Neugier.
    »Wie gesagt«, wiederholte Jagu, »Mion ist ein Ausnahmetalent.«
    »So wie Eure andere Schülerin, wie heißt sie doch - Faunia?«, schnurrte Lydalas beiläufig.
    Wieder breitete sich Schweigen aus. Selbst Jagu hatte diesmal nichts als ein Lächeln zu erwidern. Mion holte tief Luft.
    »Ich wage nicht, mich mit Faunia zu vergleichen. Sie ist ein Genie. Es ist mir eine Ehre, in einem Haus mit ihr zu lernen.« Und mit einem Strahlen an Jagu fügte sie hinzu: »Vor allem vom selben Meister.«
    Ein junger Herr lachte laut. »Das nennt man Treue! Wer hat hier leibliche Kinder, die so respektvoll sind? Ich sollte mir auch ein paar Schülerinnen nehmen, wenn ich ins Alter komme...«
    »So, Faunia ist also ein Genie?«, sagte Lydalas mit unbeirrbarer Sanftheit. »Wie kommt es, dass ihre Werke uns bis jetzt vorenthalten wurden?«
    »Wie es so oft mit genialen Künstlern ist, fehlt ihr das Gespür für alles Weltliche. Sie ist - wenn mein Meister mir erlaubt - nicht sehr ehrgeizig. Doch es steht mir nicht zu, über die Schwächen eines Menschen zu urteilen. Ich bewundere und bedauere Faunia, wie man eine große, tragische Person nur bewundern und bedauern kann.«
    Lydalas betrachtete Mion mit einem unbewegten Lächeln. »Vielleicht liegt ihre Unbekanntheit auch daran, dass kein Drache sich von einer gewöhnlichen Bürgertochter porträtieren lassen will.«
    Mion neigte den Kopf. Ihre Wangen glühten. »Ich vertraue auf die Weisheit der Drachen.«
    Ziraphalon räusperte sich laut und hob den Kelch. »Auf die Drachen!«
    Alle stimmten ein, und als getrunken wurde, wanderte mehr als nur ein Blick zu den dunklen Fenstern, wo gewiss ein paar Raben das Fest bewachten.
    Als Mion und Jagu zum Büfett schritten, ballte sie die Fäuste. »Sie werden mich nicht akzeptieren.«
    »Lass dich von Leuten wie Lydalas nicht einschüchtern. Du hast gut geantwortet. Sehr nett von dir, Faunia zum Genie zu küren.«
    »Danke, dass du mich ein Ausnahmetalent genannt hast.«
    »Das war kein Kompliment. Das ist eine Erwartung.« Jagu nahm sich einen neuen Becher Wein und leerte ihn in einem Schluck. »Erinnerst du dich an deine Aufgabe für heute Abend?«
    Mion pikste ein Teigbällchen auf ihre Gabel und nickte. »Ich werde versuchen, jeden, mit dem ich heute Abend rede, dazu zu bringen, mich zu mögen. Schön wär’s.«
    Jagu nickte geistesabwesend und sah sich im Saal um. Irgendwo spielte ein kleines Orchester ein neu komponiertes Tanzlied. Ein Diener kam vorbei und Jagu ließ sich nachschenken. »Ich suche dir ein paar Herausforderungen. Komm.«
    »Jagu?«
    Er hielt inne.
    »Stimmt es, dass die Drachen sich nicht von Faunia malen lassen wollen? Weil sie... adoptiert ist?«
    Er lächelte. »Gildengeschwätz. Faunia ist einfach nicht besonders geschickt darin, freundlich zu sein.« Dann bot er ihr den Arm. »Wie du schon sagtest: Genialen Künstlern wie ihr fehlt oft das Gespür für alles Weltliche.«
    Zögernd hakte Mion sich bei ihm unter. »Den Satz habe ich

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