Rache - 01 - Im Herzen die Rache
Ihr Cape klebte voll Schnee.
»Willst du meine Jacke haben?«, fragte er und begann, sie auszuziehen.
»Das wird nicht viel nützen«, antwortete sie und zeigte auf den tropfnassen Kragen.
»Lass uns zurück zu meinem Wagen gehen.« Chase nahm ihre Hand und spürte zu seiner Überraschung, dass sie ganz warm war.
Sie rannten durch die Straßen zurück, lachend und außer Atem. Die Heizung im Kombi brauchte eine Ewigkeit, um endlich in die Gänge zu kommen; sie saßen zusammengekauert auf dem Vordersitz, wo Chase Tys Hände rieb, obwohl ihre sich wärmer anfühlten als seine. Das Herz pochte laut in seiner Brust. Er war sich sicher, dass sie es hören konnte.
»Wo soll’s hingehen?« Er hoffte inständig, dass sie ihn nicht bitten würde, sie nach Hause zu fahren. Er wollte für immer bei ihr bleiben.
»Ich will gern wissen, wie es ist, Chase Singer zu sein. Lass uns zurück zu dir fahren.« Sie lächelte und zwirbelte eine Strähne feuchtes Haar um ihren Zeigefinger.
»Alles klar, okay.«
Wie schon zuvor verwandelte ihre strahlende, heitere Anwesenheit sein winziges Zuhause in einen weniger trostlosen und beengenden Ort.
»Lust auf heiße Schokolade? Ich mache sie so für dich, wie meine Mom sie immer für mich macht«, sagte er und legte schon die Zutaten auf der Küchentheke zurecht. Sie lächelte und trat hinter ihn an den winzigen unförmigen Herd, während er die Milch in einem kleinen Topf erwärmte, den Kakao hinzufügte und dann eine Prise Zimt, eine Prise Cayennepfeffer und einen Teelöffel Honig dazugab.
»Süß und scharf, mh?« Sie hielt die Nase in ihren Becher und atmete tief ein.
»Das ist das Geheimnis«, antwortete Chase und lehnte sich an die wackelige Linoleumtheke. Ty stand vor ihm, beide Hände um ihren Becher gelegt (auf dem in kitschiger rosa Schrift »Wenn die besten Jahre vorbei sind, geht’s erst richtig los« stand – ein Geschenk zum vierzigsten Geburtstag seiner Mom). Ihre Wangen waren ganz rosig und sie blickte ihn glücklich an. Jetzt! Sie wollte, dass er sie küsste.
Chase stellte seinen Becher ab und räusperte sich. Dann neigte er, die Hände fest um den Rand der Theke hinter sich gepresst, den Kopf zu ihr hin. Er konnte praktisch schon ihre weichen Lippen auf seinen spüren.
Doch Ty schnellte zurück wie ein Maßband in sein Gehäuse. Sie sah ihn erschrocken an und stellte ihren Becher hin.
»Ich kann nicht – ich kann nicht länger bleiben«, sagte sie leise. Kurz darauf befand sich der Rest ihrer heißen Schokolade auf dem Tisch und sie stand wieder im Mantel an der Tür und fuhr sich nervös mit der Hand durch die langen roten Haare. »Tut mir leid. Gute Nacht.« Dann trat sie hinaus.
»Warte, Ty!« Chase lief ihr nach. »Entschuldige«, sagte er und schob die nackten Füße in seine nassen Stiefel, die noch voller Schnee waren. »Ich wollte es nicht vermasseln.«
Doch als er die Vordertreppe des Wohnwagens erreichte, war sie schon fort. Es war ihm rätselhaft, wie sie so schnell verschwinden konnte, und er fragte sich, ob sie vielleicht ein Auto angehalten hatte oder ob ihre Cousinen draußen auf sie gewartet hatten.
Er blickte sich um. Bei den Hendersons auf der anderen Seite der Anlage brannte Licht und in der Ferne erkannte er ein paar kahle Bäume. Sonst war alles einfach nur matschig grau-weiß. Die ganze Wohnwagensiedlung kam ihm plötzlich kalt und verlassen vor: als sei etwas Wunderbares darin ausgelöscht worden.
Als Chase so dastand, überkam ihn allmählich erneut dieses Kribbeln in den Adern, dieses pochende Verlangen. Er musste wieder an die Nacht denken, in der sein Vater gestorben war – an die Stille, die ihn manchmal umgab, wenn er alleine war. Doch das Gefühl, das er jetzt hatte – diese Leere –, war etwas anderes. Irgendwie schlimmer. Wenn er Ty nicht wiedersah … na ja, dann wusste er nicht, was passieren würde. Er wusste nicht, was er dann tun sollte.
Er durfte sie einfach nicht verlieren.
Er blieb stehen und starrte in die Dunkelheit. Er dachte darüber nach, dass er nicht einmal dazu gekommen war, sie wegen des Footballfests zu fragen – dabei hatte er es sich so fest vorgenommen, doch er hatte einfach nicht den richtigen Moment gefunden, und nicht die richtigen Worte. Er stand da und dachte daran, wie schön sie unter den verschneiten Straßenlampen ausgesehen hatte, dachte an ihre zarte strahlende Haut, die selbst im gelbstichigen Licht seiner beschissenen Küche noch rosig aussah. Er stand da und sah noch einmal vor sich,
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