Rache der Königin
bewahren.«
»Was hat er getan? Was hat er getan?« fragte leichenblaß Monsieur de Vardes.
»Im Augenblick noch nichts. Doch müssen wir verhindern, daß er es morgen tut. Marquis, es handelt sich um ein Staatsgeheimnis,
über das Ihr absolut schweigen müßt. Die Sache ist die: Morgen abend wird die Königinmutter aus Schloß Compiègne entweichen
und in nördlicher Richtung bis La Capelle fliehen. Euer Sohn hat versprochen, ihr die Tore zu öffnen und ihr Asyl zu geben,
solange sie will.«
»Was soll das?« rief Monsieur de Vardes, und seine starke Stimme blieb ihm in der Kehle stecken. »Ich vertraue ihm das Kommando
über La Capelle an, und dann macht er so etwas! Ohne mich, seinen Vater, zu fragen! Wie kommt der Tollkopf dazu, dem König
einen solchen Tort anzutun? Das ist schimpflicher Verrat, unverzeihliche Dummheit! Doch nun erklärt mir, Herzog, welches Interesse
die Königinmutter haben kann, bei uns Zuflucht zu suchen?«
»La Capelle ist eine Festung«, sagte ich. »Die Königinmutter wird glauben, sich hinter Euren Mauerzinnen in besserer Verhandlungsposition
gegenüber dem König zu befinden. Und wahrscheinlich hofft sie, wenn er sie in La Capelle belagern kommt, daß dann die Spanier
aus dem nahen Avesnes ihr zu Hilfe eilen.«
»Und mein Sohn will meinen Namen und mein Geschlecht mit dieser Rebellion verbinden!« rief der Marquis. »Die Pest über diesen
Grünschnabel! Gleich morgen früh«, setzte er hinzu, indem er mit der Behendigkeit eines Jungen aus seinem Lehnstuhl emporsprang,
»gleich morgen früh reite ich hin und |266| drehe dem Rotzbengel die Nase um! Taugenichts der! Galgenvogel! Laßt mich nur hinkommen, dann soll er seine Dummheit und seine
Sünden beweinen!«
»Marquis«, sagte ich, »Ihr werdet Euren Sohn nicht in La Capelle finden. Als der König über die Pläne der Königinmutter unterrichtet
wurde, hat er ihn in den Louvre befohlen und hält ihn dort zurück, ohne der Dinge irgend Erwähnung zu tun.«
»Was!« schrie Monsieur de Vardes zornbebend, »und inzwischen ist La Capelle ohne jedes Kommando, da können ja die Spanier
von Avesnes die Feste überrumpeln, ohne daß Vater oder Sohn zur Stelle sind. Diese Desertion ist eine Niedertracht!«
»Marquis«, sagte ich, »da Ihr so schnell eine Eskorte nicht beisammen haben werdet, erlaubt Ihr, Euch meine anzubieten? Die
Kosten dafür begleiche ich aus königlichen Mitteln.«
Dieses Argument rührte an den schwachen Punkt des Marquis, und selbstverständlich durfte ich mich von meiner Eskorte nicht
trennen und ungeschützt nach Paris zurückkehren.
Nach dem Souper, das von mehr als mönchischer Dürftigkeit war, bat ich Graf von Sault in mein Zimmer, der sich auf meine Bitte
jeden Eingriffs in das vorangegangene Gespräch enthalten hatte, und ich fragte ihn, welchen Eindruck er von unserem Gastgeber
gewonnen habe.
»Zunächst fragte ich mich, ob Vater und Sohn nicht unter einer Decke steckten«, sagte er, »denn es erschien doch sehr unverständlich,
daß ein so junger Mann es sich in den Kopf gesetzt hätte, sich gegen den König aufzulehnen zu einem Zeitpunkt, da alle Aufrührer
mit Verbannung oder Bastille bestraft werden. Doch der Zorn des Alten beseitigte meinen Verdacht. Jetzt frage ich mich nur,
was geschieht, wenn der Sohn von Monsieur de Vardes inzwischen nach La Capelle zurückgekehrt ist und sich weigert, seinem
Vater die Tore zu öffnen?«
»Ein schöner Salat, denke ich!«
»Und angenommen, die Königinmutter kommt noch hinzu, was macht Ihr dann, Monseigneur? Wollt Ihr sie festnehmen?«
»Gott sei Dank, habe ich dazu nicht den Befehl. Und ich würde mein Hemd verwetten, daß der König auch niemanden auf die Spur
der Königinmutter setzen wird, was ihm ja leichtfiele, da er die Stunde ihrer Flucht ebenso kennt wie ihren Weg.«
|267| »Und warum?«
»Weil er seine Mutter lieber außerhalb des Reiches weiß als drinnen.«
»Und Ihr meint, daß sie diesen heillosen Fehler begehen wird, sich zu den Spaniern zu flüchten, wenn sie La Capelle verschlossen
findet?«
»Der König denkt, daß sie es tun wird. Er kennt ihren Charakter: grenzenloser Trotz und geringes Urteilsvermögen. Der König
hat die Truppen aus Compiègne abgezogen und weiß, daß sie keinen Augenblick zögern wird, dem eben geöffneten Käfig zu entfliehen,
weil sie glaubt, ihrem Sohn einen bösen Streich zu spielen, den sie aber in Wahrheit sich selber spielt.«
***
Gegen zehn Uhr abends
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