Rache der Königin
herrische alte Dame nicht mehr viel wert. Schon leicht enttäuscht, schreibt sie Ludwig einen
Brief. Was hätten Sie ihm an ihrer Stelle geschrieben?«
»Himmel, Monsieur! Was Sie von mir verlangen!«
»Nur mutig! Folgen Sie einfach Ihrem Instinkt!«
»Nun, ich hätte gesagt, daß ich den Kopf verloren hätte und mich deshalb aber sehr unglücklich fühle. Ich hätte den König
um Verzeihung gebeten, daß ich mich im Kapitel Richelieu so uneinsichtig gezeigt habe, und meinen Sohn gebeten, mir meine
unselige Flucht zu vergeben und die Rückkehr an den Hof zu |272| erlauben, ich würde mich künftighin jeglicher Reden und Taten gegen den Kardinal enthalten.«
»Schöne Leserin, Sie sind vier Jahrhunderte zu spät geboren. Sie hätten eine geradezu vollkommene Königinmutter abgegeben,
und der König hätte nach Erhalt Ihres Briefes nicht anders gekonnt als Ihr Los zu bessern, zunächst sicherlich nicht ohne
Mißtrauen und ohne einige Prüfungen. Aber ach! die wirkliche Königinmutter schrieb dem König, ohne ihm einen Olivenzweig zu
reichen. Im Gegenteil! Ihr Schreiben ist voller Haß und Rachsucht, und vor allem strotzt es von schamlosen Lügen. Erlauben
Sie, daß ich es zusammenfasse: Wenn ich heute außerhalb Frankreichs bin, so ist das einzig die Schuld des Kardinals. Er hat
mich in die Flucht getrieben. (Es war jedoch der König, und allein der König, der die Truppen, die sie bewachten, auf ihre
Bitte hin abgezogen hat.) Es war der Kardinal, der mir die Falle La Capelle gestellt hat. (In Wahrheit war es der Comte de
Moret, der den jungen François de Vardes dazu bewog, seiner Herrin das Stadttor von La Capelle zu öffnen.) Doch weiter: Indem
Richelieu La Capelle einnahm (Richelieu hat La Capelle niemals eingenommen, die Feste ergab sich von selbst ihrem Gouverneur),
hat er mich gezwungen, die Grenze zu überschreiten, was ich immer am meisten gefürchtet habe. (Warum hat sie es dann getan?)
Ferner erklärt sie, daß sie die Grenze überschritten habe, weil sie von der Kavallerie des Königs verfolgt worden sei. (Pure
Erfindung. Es gab weit und breit keine königlichen Soldaten außer den Musketieren, die, als sie an La Capelle vorüberzog,
friedlich schliefen.) Der Brief der Königinmutter gipfelt in dem Vorwurf, der Kardinal wolle Mutter und Sohn aus Frankreich
verjagen. Was eine weitere Lüge ist. War es Richelieu, der Gaston wiederholt gezwungen hat, nach Lothringen zu gehen, und
der die Königinmutter zwang, nach Brüssel zu gehen?«
»Und was schließen Sie aus alledem, Monsieur?«
»Daß die Königinmutter, nachdem sie den Krieg auf dem einen Feld verloren hat, ihn kindisch durch einen Brief zu gewinnen
versucht, den sie auch noch veröffentlicht, womit sie ihre Chancen nun erst recht verschlechtert hat. Und sollten es ihre
Räte gewesen sein, die ihr diese Kampfschrift diktierten, hätten sie nicht mehr Urteil als sie selbst bewiesen, und wir dürfen
uns auf weitere ebenso ungeschickte Initiativen gefaßt machen.
|273| Denn daß die Königinmutter den Brief veröffentlicht, der ihren Sohn anklagt, heißt doch, daß sie die ihrem Sohn feindlichen
Reiche auffordern will, sich ihrer Sache anzunehmen und sie zu unterstützen. Und weil der König sich gegen diese falschen
öffentlichen Anklagen verteidigen muß, wird nun auch seine Antwort veröffentlicht. Sie hält sich in maßvollen Worten. Sie
schont die Königinmutter. Sie klagt sie nicht der Lügen an, sondern staunt nur, daß ›jene, die sie diesen Brief schreiben
ließen, sich nicht geschämt haben, unwahre Tatsachen vorzubringen‹.
Bedauerlicherweise, schöne Leserin, leidet die Königinmutter, wie Sie wissen, an heillosem Starrsinn. Montaigne sagt zu diesem
Thema: ›Starrsinn ist der sicherste Beweis von Dummheit.‹ Meines Erachtens hätte er seiner Definition noch Hochmut und schlechtes
Gewissen hinzufügen können, denn der Starrsinnige versucht immer, sich selbst wie den anderen die Schwäche seiner Gründe zu
verhehlen, indem er ungefähre Angaben, Ausflüchte oder Ungenauigkeiten benutzt.
Zum Starrsinn der Königinmutter kommt noch ein Element hinzu: das Gefühl ihrer Straflosigkeit. In Frankreich hatte sie tatsächlich
keinerlei Sanktionen zu befürchten, sie war die zweite Person im Staat. Aber seit sie willentlich die Grenze überschritten
hat, liegen die Dinge anders. Damit ist sie unendlich verletzbar geworden, und weil sie sich dies nicht im mindesten bewußt
macht,
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