Rache der Königin
standen wir unter den Mauern von La Capelle. Eine Wolke, schwarz wie Tinte, verbarg uns jäh den glänzenden
Mond, der unsere Wege bisher erhellt hatte. Auf einmal war es stockfinstere Nacht, und wir mußten Fackeln anzünden, um uns
zurechtzufinden. Das Tor von La Capelle war, wie erwartet, hoch, eisenbeschlagen und sicherlich dreifach verriegelt. Monsieur
de Clérac ließ zwei seiner Musketiere klopfen, was sie mit Vergnügen und viel Spektakel taten. Nach einer Weile erschien über
den Torzinnen ein zerstrubbelter Kopf.
»Meine Herren«, rief der Wächter, »seid Ihr Männer der Königinmutter?«
In dem Moment kam Monsieur de Vardes aus der Karosse gesprungen wie ein Springteufel aus dem Kasten.
»Holla!« schrie er mit Stentorstimme, »eine Fackel her, damit der Galgenstrick mich erkennt! Nein, nein, Sergeant, wir sind
nicht von der Königinmutter, wir sind treue Untertanen des Königs von Frankreich und gehorchen ihm allein. Und jetzt öffne,
Kerl!«
»Es ist nur, Herr Marquis, weil wir Befehl haben, nur der Königinmutter zu öffnen.«
»Und Befehl von wem, Höllenbraten? Von meinem Sohn! Wer befiehlt in La Capelle? Mein Sohn oder ich? Wer hat den königlichen
Auftrag zu diesem Befehl? Öffne, Sergeant, und zwar schnell, oder ich lasse das Tor in die Luft jagen und euch alle mit!«
|268| Die Drohung wirkte, Die Zinnen besetzten sich im Nu mit schreienden und fuchtelnden Gestalten, die Flüche gegen den Sergeanten
ausstießen, und in Kürze tat sich das Tor auf, so daß der Marquis, ich, Graf von Sault, Clérac und unsere Musketiere einziehen
konnten.
Wir hatten kaum in einem zugigen Saal um einen Tisch aus rohem Holz Platz genommen, als überraschend ein schmucker junger
Mann hereintrat. Seine hübschen Züge und seine langen, gelockten Haare wurden aber nicht eben durch einen lebhaften Blick
ergänzt, und ich sagte mir, daß der Sohn des Marquis de Vardes wohl mehr durch sein Aussehen als durch Geistesgaben glänzte.
»Herr Vater«, sagte er, indem er sich verneigte, »ich entbiete Euch meinen Respekt.«
Der Marquis bedeutete ihm mit einer Geste, sich zu setzen und den Mund zu halten. Schweigen trat ein. Der Marquis maß seinen
Sohn eine Weile mit funkelnden Augen, und um einer Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn zuvorzukommen, stellte ich dem
jungen Mann einige Fragen.
»François«, sagte ich, »wie kamt Ihr dazu, der Königinmutter in La Capelle Gastrecht anzubieten?«
»Ich habe es ihr nicht angeboten«, erwiderte der Sohn. »Ich wurde in ihrem Namen inständig darum ersucht.«
»Von wem?«
»Dem Comte de Moret.«
»Ach, Comte de Moret!« rief der Marquis voller Verachtung.
»Der Comte de Moret«, erklärte François, »kam von Compiègne eigens nach La Capelle, um mich zu bitten, ja anzuflehen, ich
möge der Königinmutter in La Capelle Aufnahme gewähren.«
»Und Ihr habt zugesagt?«
»Ja, Monseigneur.«
»Ohne zu bedenken, daß die Königinmutter dem Befehl des Königs zuwiderhandelt, wenn sie Compiègne aus eigenen Stücken verläßt,
und daß Ihr Euch zu ihrem Komplizen macht, wenn Ihr sie in La Capelle aufnehmt?«
»Sie tat mir so leid, Monseigneur. Und das Ersuchen erschien mir so bedeutend, da ein Prinz von Geblüt es mir antrug.«
»Der Comte de Moret ist kein Prinz von Geblüt«, sagte Monsieur de Vardes. »Er ist ein königlicher Bastard.«
|269| »Und wie kommt es«, fragte ich, »daß Ihr dem Comte de Moret die Zusage gabt, ohne zuvor den Marquis de Vardes zu fragen, der
nicht nur Euer Vater, sondern auch der Gouverneur von La Capelle ist?«
»Ich dachte, daß er nicht einverstanden sein würde.«
»Warum?«
»Weil mein Herr Vater den Kardinal und seine Politik bewundert.«
»Ihr glaubtet also, Ihr könntet die Dinge besser beurteilen als Euer Vater?«
»In diesem Fall, ja.«
»Aber der König hält Kardinal Richelieu in hoher Wertschätzung, seit Jahren verteidigt er ihn gegen die verschiedenen Kabalen.
Meint Ihr, Ihr versteht besser als Seine Majestät, was dem Reich frommt?«
Hierauf blieb François stumm, und der Marquis de Vardes sagte, diesmal ohne jede Schärfe, nur mit Resignation: »Mein Herr
Sohn, Ihr seid der größte Schafskopf der Schöpfung.«
»François«, fragte ich, »seid Ihr von selbst an den Hof gegangen?«
»Nein, Monsieur! Der König forderte mich dazu auf.«
»Und was hat er Euch gesagt?«
»Kein Wort.«
»Da er Euch rief, kam Euch dennoch nicht der Verdacht, daß er über Euer Vorhaben, die
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