Rache der Königin
Kapellentür geöffnet hat, durch die der Herr Kardinal hereinkam. Und als Monsieur de Guron mich
auf der Straße und quasi im Rinnstein sah, hatte er ein christliches Erbarmen und nahm mich in sein Gesinde auf.«
»Und fühlst du dich wohl, meine Gute, in deiner neuen Anstellung?«
»Weiß Gott«, rief die Zocoli, »ich bin entzückt. Tagsüber ist wenig zu tun. Dafür viel in der Nacht.«
Schon erschien auch Monsieur de Guron, mit blitzenden Augen, rot im Gesicht, mehr breit als hoch, und ich hatte einen neuen
Begrüßungssturm zu überstehen.
Erst nach der Hälfte des Mahls, als Guron halb gesättigt war (ich war es längst gänzlich), eröffnete er mir: »Ich bin beauftragt,
Euch mitzuteilen – da Ihr in dieser Sache eine Mission erhalten werdet –, daß die Königinmutter jetzt in Compiègne bleiben
will und daß sie verlangt, man solle die Soldaten abziehen, die sie bewachen. Was meint Ihr, mein lieber Herzog, was das bedeutet?«
»Daß sie so nahe wie möglich an den spanischen Niederlanden bleiben will; daß sie, sobald ihre Bewacher verschwinden, fliehen
und sich dem Zugriff des Königs entziehen wird. Wenn |261| sie nicht in die spanischen Niederlande geht, dann zumindest in einen französischen Ort nahe der Grenze.«
»Gut gedacht. Und wie kann der König, obwohl es an Lauschern um sie wimmelt, nicht wissen, daß sie sich mit dieser Absicht
trägt?«
»Natürlich weiß er es. Kennt man schon den Namen der von ihr begehrten französischen Zuflucht?«
»Selbstverständlich. Es handelt sich um die Feste La Capelle, die in unmittelbarer Nähe des spanisch besetzten Avesnes liegt.
Sie wird vom Marquis de Vardes befehligt und in seiner derzeitigen Abwesenheit von seinem Sohn, einem kleinen Heißsporn, der
insgeheim zugesagt hat, die Königinmutter in seinen Mauern aufzunehmen. Und da nun sollt Ihr Euch einschalten, mein lieber
Herzog. Während der König den jungen Vardes an den Hof ruft und ihn so lange wie nötig festhält, begebt Ihr, mein lieber Herzog,
Euch mit verhängten Zügeln nach Gournay in der Normandie, wo sich der Marquis de Vardes derzeit aufhält, überredet ihn, nach
La Capelle zurückzugehen und der Königinmutter seine Tore zu verschließen.«
»Und warum wurde ich zum
missus dominicus
erwählt?« fragte ich.
»Der Marquis de Vardes steht im Rang sehr hoch, und der König meint, daß er ihm seine Befehle wenigstens durch einen Herzog
übermitteln muß.«
»Und was, meint Ihr, wird die Königinmutter tun, wenn sie die Tore von La Capelle verschlossen findet?«
»Das überlegt Euch selbst, mein lieber Herzog: eine Dummheit natürlich. Sie wird die Spanier von Avesnes um Gastrecht ersuchen,
ohne irgend zu bedenken, daß sie dann als ›Abtrün nige gegen König und Vaterland‹ nie mehr den Fuß nach Frankreich setzen kann.«
Hier trat Schweigen ein.
»Ich möchte Euch, mein lieber Herzog, eine delikate Frage stellen«, sagte schließlich Guron. »Glaubt Ihr, daß der König, als
er den Hof und die Königinmutter nach Compiègne einlud, schon daran dachte, was sich daraus ergeben würde?«
»Um aufrichtig zu sein, ich bin davon überzeugt. Warum wäre er sonst dem Verlangen der Königinmutter gefolgt, die bewachenden
Truppen abzuziehen? Er kennt sie zu gut, um nicht zu wissen, was sie mit ihrer Freiheit anfangen wird.«
|262| »Demnach hätte der König«, sagte Guron, »die Königinmutter Schritt für Schritt zu ihrem Fehler gedrängt.«
»Ganz sicher!«
»Mein Gott!« rief Guron. »Zeigt Ludwig damit nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von Machiavelli geschilderten Fürsten?
Wer hätte ihm das angesehen? Wie der Schein doch täuscht!«
»Aber das muß er, mein lieber Guron. Das Wesentliche des Fürsten, den Machiavelli beschreibt, ist ja gerade, daß er nicht
machiavellistisch wirkt. Wo bliebe die
finezza
, wenn man sich nicht über ihn täuschte?«
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|263| VIERZEHNTES KAPITEL
Ich hatte vorgehabt, zu meinem Besuch beim Marquis de Vardes in Gournay die eine Hälfte meiner Schweizer mitzunehmen, aber
Richelieu, bei dem ich nach Seiner Majestät vorsprach, erklärte, meine Eskorte werde aus zwanzig königlichen Musketieren unterm
Befehl von Monsieur de Clérac bestehen, um mir beim Marquis de Vardes größere Autorität zu verschaffen. Auch würde ich in
einer Karosse mit dem königlichen Wappen reisen, zusammen mit meinem Junker und Graf von Sault.
Wenn die vielen Unkosten auch nicht meinetwegen gemacht wurden,
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