Rache der Königin
fünfundzwanzigste Februar 1633 hat sich meinem Gedächtnis unverlierbar eingeprägt, denn an jenem Tag versammelte Ludwig
im großen Saal von Saint-Germain den Ministerrat und den Großen Königlichen Rat, was noch nie vorgekommen war und woraus mehr
als einer mutmaßte, daß etwas geschehen würde, weshalb unruhige Blicke vom einen zum anderen gingen, bis die Tür sich hinter
uns schloß.
Es trat Stille ein, und das ging schnell, so sehr fürchteten die Räte und Minister die Ermahnungen des Königs, der die Schwätzer
zur Ordnung zu rufen pflegte wie ein gestrenger Schulmeister.
»Meine Herren«, sagte der König mit kalter, klarer Stimme, »ich muß Euch heute erneut in Erinnerung rufen, daß alles, was
im Ministerrat wie im Großen Rat gesprochen wird, Staatsgeheimnis ist. Ihr habt diese Dinge weder in Teilen noch im Ganzen
irgend jemandem weiterzugeben, sonst macht Ihr Euch strafbar gegen die Sicherheit des Staates und des Königs. Jeder Verstoß
gegen diese Regel wird künftig unnachsichtig bestraft.«
Ludwig ließ seinen Blick über die Versammelten gleiten und bei Châteauneuf innehalten.
»Monsieur de Châteauneuf«, sagte er in schneidendem Ton, »ich bitte Euch, mir die Siegel zu übergeben.«
Weiß wie Leintuch und schlotternd, trat Châteauneuf vor. Sogleich wichen die Minister und Räte, die sich auf seinem Weg befanden,
beiseite, als hätte er die Pest.
Strauchelnd erklomm der Unglückliche die zwei Stufen, die zum König führten, der den Ratsdiener die Siegel entgegennehmen
hieß. Nun mußte Châteauneuf aber noch den Schlüssel abgeben, der zu dem Kasten gehörte und den er pflichtgemäß |324| an einer Kette um den Hals trug. Das dauerte seine Zeit, denn Châteauneuf vermochte das Zittern seiner Hände nicht zu beherrschen,
als er das Schloß der Kette öffnen wollte. Endlich gelang es, und er überreichte dem Ratsdiener, was so lange seine Ehre gewesen
war. Damit aber war seine Demütigung noch immer nicht zu Ende, denn der Gardehauptmann, Monsieur de Gordes, verkündete nun
mit unnötig lauter Stimme, daß er ihn in Haft nehmen müsse.
***
Schöne Leserin, wie Sie sehen, war Monsieur de Châteauneuf der zweite Siegelbewahrer, der bei Ludwig in Ungnade fiel. Wie
sein Vorgänger verbannt und auf Schloß Angoulême eingesperrt, wurde er jedoch, anders als jener, durch seine Leidenschaft
fürs schöne Geschlecht gerettet. Er verliebte sich in eine Kammerjungfer, die ihn morgens an- und abends auskleidete. In so
milder, und ich würde sagen, zärtlicher Gefangenschaft überdauerte Monsieur de Châteauneuf sehr gut und kehrte, als Ludwig
XIII. 1643 starb, quick und munter zurück an den Hof. Durch eine Frau hatte er alles verloren und dank einer anderen überlebt,
sagte mein Vater, und als Doktor der Medizin setzte er hinzu: »Manchmal kann ein Gift auch zum Heilmittel werden.«
Der König machte Châteauneuf keinen Prozeß, denn als man sein Haus durchsuchte, fanden sich zwar in großer Zahl Briefe von
Madame de Chevreuse, die zweifelsfrei die Indiskretionen des Ministers bewiesen, doch von Richelieu befragt, war Châteauneuf
längst nicht so verstört wie erwartet. »Ich bezichtige mich, soviel man will«, sagte er, »die Damen zu sehr geliebt zu haben,
aber das übrige sind Weibersparren und Spielereien.« Das Ungewöhnliche an der Affäre war, daß er wenigstens in diesem Punkt
recht hatte, denn außer dem Herzog von Lothringen, der die Chevreuse liebte und sich ihre Indiskretionen zunutze machte, nahm
keiner der feindlichen Herrscher im Ausland diese ernst, weil sie von einer Frau kamen. Und namentlich der eingebildete spanische
Minister Mirabel bemerkte, als er einen Brief unserer Chevreuse erhielt, diese Franzosen hätten alle nicht für zwei Heller
Verstand im Kopf. Wenn jene Frau, die sich so schlau wähnte, eines Tages erführe, daß sie verrückt ist, |325| würde sie den Kopf in ihrem Reifrock verstecken. Hiermit warf er ihren Brief ungelesen in den Papierkorb. Womit er selbst,
um seinen eigenen Satz abzuwandeln, töricht handelte, wo er sich klug wähnte, denn der Brief enthielt Indiskretionen, die
ihm höchst nützlich gewesen wären bei seinen Unternehmungen gegen Frankreich.
***
Einige Tage nach der Festnahme von Monsieur de Châteauneuf erhielt ich einen Brief der Herzogin von Chevreuse, überbracht
von einem ihrer Reitknechte, der bei dieser Gelegenheit keine Livree trug. Dieser Brief setzte mich in Verlegenheit, denn
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