Rache der Königin
Teil gehört, Frankreich besitzt reiche und wichtige Städte dort, die Ludwig keinesfalls
hergeben wird, für den Fall nämlich, daß die Kaiserlichen Frankreich angreifen sollten. Es sind für ihn gut bewehrte Bastionen,
um eine von Osten kommende Invasion aufzuhalten und zu verzögern. Und deshalb wird der König von Frankreich niemals auf sie
verzichten. Gaston gut zu empfangen, wenn er, um Ludwig unter Druck zu setzen, das Reich verläßt, kann von seiten des Herzogs
als durchaus kluge Politik erscheinen. Denn solange der König von Frankreich keinen Dauphin hat, ist Gaston sein präsumtiver
Thronfolger, und da Ludwigs Gesundheit |330| außerdem so prekär ist, kann der Herzog hoffen, daß Gaston, wenn er bald an Ludwigs Stelle tritt, zugänglicher für den Wunsch
seines Schwagers sein werde, was die Herausgabe jener Städte an Lothringen betrifft.
Andererseits kann Ludwig die wiederholten Frechheiten des Herzogs von Lothringen nicht unbeantwortet lassen, namentlich die
letzte und ärgerlichste nicht: die für Gaston bereitgestellte Armee.
Also marschiert Ludwig nach der Affäre von Castelnaudary in Lothringen ein, doch nicht, um es zu besetzen. Der östliche Nachbar
würde es nicht dulden, wenn Frankreich sich so nahe an seiner Grenze vergrößerte. Im Augenblick geht es lediglich darum, Karl
IV. zur Rechenschaft zu ziehen. Doch selber wortbrüchig, glaubt er Ludwigs Wort nicht, und weil er fürchtet, der König werde
ihn festnehmen, schickt er ihm seinen Bruder, den Kardinal von Lothringen. Besagter Kardinal ist ein geschmeidiger Mensch.
Wie ein Aal gleitet er auch durch die straffsten Finger. Ja und nein gehen bei ihm in eins. Was er heute gebilligt hat, verwirft
er morgen. Und in unserem gegenwärtigen Fall ist er bereit, die Gaston geleistete Waffenhilfe zum Kampf gegen Ludwig zu bedauern.
Doch verweigert er jede weitere Zusage; die wäre, sagt er, ein Eingriff in die Souveränität des Herzogs von Lothringen. Trotzdem
bricht er die Brücken nicht ab. Je weiter die königliche Armee in Lothringen vordringt, desto häufigere Treffen gibt es mit
dem Kardinal, aber stets ohne den Willen, zu einem Schlußpunkt zu kommen.
Der Leser wird sich erinnern, daß der Herzog von Savoyen Ludwig gegenüber die gleiche Verzögerungstaktik pflegte: Sowenig
wie dem Savoyer nützte sie auch dem Lothringer. Ohne sich den Gesprächen mit dem Kardinal von Lothringen zu entziehen, der
in diesen Verhandlungen seinen Bruder repräsentierte, marschierte der König bis ins Herz des Herzogtums, indem er nur jeweils
innehielt, um die kleinen und großen Städte an seinem Weg zu unterwerfen. Derweise fielen Pont-à-Mousson, Lunéville und La
Neuville in seinen Sack. Wieder empfing er den Kardinal und wieder ohne die geringste Konzession. Da belagerte Ludwig Nancy,
und die Stadt Charmes fiel dem Comte de La Suze in die Hände. Nun kam es zu einer neuen Begegnung, in deren Verlauf der Kardinal
endlich den Frieden |331| unterzeichnete. Doch am nächsten Tag entglitt uns der Aal abermals, der Herzog nahm sein Wort zurück, und ohne die Belagerung
von Nancy aufzugeben, unterwarf der König jetzt Charmes, Épinal und Méricourt. So sehr es den Herzog verdroß, daß ihm sein
Herzogtum Stück für Stück zerfiel, blieb er bei seinen knabenhaften Verzögerungen. Schließlich nahm Ludwig Nancy, und da unterwarf
sich Karl IV., den Tod im Herzen. Dieser neue Feldzug war kurz, er dauerte vom fünfundzwanzigsten August bis zum fünfundzwanzigsten
September, und Ludwig behielt ein großartiges Faustpfand: Nancy. Wenn du, Leser, eine Karte von Frankreichs Norden zu Rate
ziehst, wirst du feststellen, daß Nancy die strategische Position von Toul, Verdun und Metz auf das glücklichste vervollständigt.
Ein möglicher Angreifer von Osten müßte diese vier nahe beieinander liegenden Städte alle gleichzeitig belagern, um zu verhindern,
daß eine, die er ausgelassen hätte, ihm in den Rücken fiele.
***
Nach diesen Ausführungen über unsere Zwistigkeiten mit dem Herzog von Lothringen können wir in mein Hôtel des Bourbons zurückkehren,
wo der Kardinal und die Herzogin von Chevreuse aufeinandertrafen. Ich sah dem nicht ohne Unbehagen entgegen, wußte ich doch,
daß die Chevreuse Seine Eminenz einen »Stinkarsch« genannt hatte und daß er von ihr zu sagen pflegte, sie sei eine »leibhaftige
Teufelin«. Doch alles ging äußerst liebenswürdig vonstatten. Sie setzte ihr hübschestes
Weitere Kostenlose Bücher