Rache der Königin
lag.«
»Das ist tatsächlich eine Lücke, Madame. Ich bewundere Ihre Aufmerksamkeit und Ihren Scharfsinn.«
»Wenn es eine Lücke ist, könnten wir sie nicht füllen?«
»Liebe Freundin, Sie glauben gar nicht, wie dieses ›wir‹ mir gefällt! Es beweist, daß meine Memoiren meinen Lesern ebenso
gehören wie ihrem Autor. Machen wir uns also an die Arbeit. Diese neue Flucht läßt sich auf zweierlei Weise erklären. Unterwegs
nach Brüssel, schreibt Gaston seinem Bruder, daß er Frankreich verlasse, weil der König sein Versprechen nicht gehalten habe,
Montmorency zu begnadigen. Ein lügnerischer Vorwand, dem der König sofort energisch widerspricht: ›Weder Euch noch irgend
jemand anderem habe ich ein solches Versprechen gegeben.‹«
|336| »Ich nehme an, Sie werden mir auch den wahren Grund nennen?«
»Gaston bekam es mit der Angst. Zum ersten hat es ihn erschreckt, daß Montmorency hingerichtet wurde, der ja nur ein Komplize
jener Rebellion war, deren Anstifter und Anführer er, Gaston, gewesen ist. Wenn sein Bruder einen so hohen Herrn zum Tod verurteilte,
konnte er seinen jüngeren Bruder dann nicht ebenso in ein Schloß einsperren, wie er es mit der Königinmutter gemacht hatte?
Zum zweiten hat er, ohne seinen Bruder zu fragen, sich heimlich mit der Schwester des Herzogs von Lothringen vermählt. Und
er weiß, daß sowohl die Wahl seiner Gemahlin – die Schwester eines geschworenen Feindes – als auch die nicht eingeholte Zustimmung
des Königs wie schließlich das Geheimhalten der Zeremonie verwerflich sind und daß der König, der überall seine Spitzel hat,
davon früher oder später erfahren wird. Und was wird Seine Majestät dann mit Gaston machen?«
»Aber warum geht er nach Brüssel und nicht wieder zu seinen Lothringer Freunden?«
»Gaston ist ein Hansnarr, sein Kopf dreht sich in alle Winde, aber dumm ist er nicht. Er weiß, daß sein Bruder nicht anders
kann, als Karl IV. dafür zu strafen, daß er eine Armee gegen ihn aufgestellt und das Kommando seinem verlorenen Bruder übergeben
hat. Wenn also Lothringen angegriffen und, wie vorauszusehen, besiegt wird, steht Gaston, wenn er dort angetroffen wird, als
Verräter da. Außerdem regierte in Brüssel derzeit die Infantin Clara-Isabella-Eugenia über die Niederlande, eine Enkelin Heinrichs
II. von Frankreich und Tochter Philipps II. von Spanien. Weshalb die Iberer sie geringschätzig die
mezza francese
, die Halb-Französin, nannten. Diese hohe Dame nun war von so großer Güte, daß sie sogar von den besetzten Niederländern geliebt
wurde. Und wegen ihrer Popularität machte die Regierung in Madrid sie, als ihr Mann starb, zur Gouverneurin der eroberten
Provinz.
Ich hatte das Glück, die Infantin Clara-Isabella-Eugenia oft zu sehen (wie ich diese klangvollen Vornamen liebe!), als Ludwig
mich nach Brüssel entsandte, um Gaston zur Heimkehr nach Frankreich zu bewegen. Die Infantin drängte ihn ebenfalls in diesem
Sinne, doch nicht etwa, weil sie ihn nicht liebte, im Gegenteil. Sie war vernarrt in ihn, weil er ihr durch seine Fröhlichkeit, |337| seine sprunghaften Einfälle und seine Liebenswürdigkeit den freundlichen Hof der Valois in Erinnerung rief, wo sie in ihrer
Kindheit sehr glücklich war. Allerdings verschwieg Gaston ihr seine Eskapaden. Die hätte sie nicht gelitten, sie war sehr
fromm. Als ich ihr begegnete, war die Infantin siebzig Jahre alt. Zuerst wußte ich nicht, was ich von ihr denken sollte, denn
ich sah sie im schwarzen Gewand der Clarissinnen, ohne daß sie dem Orden angehörte. Der Leser weiß – verzeihen Sie, schöne
Leserin, daß ich mich auch an ihn wende, ich möchte doch nicht, daß er sich ausgeschlossen fühlt –, ich mache einen großen
Unterschied zwischen Frommen und Frömmlern. Die Frommen achte ich hoch, wenn sie nach den heiligen Geboten leben wie Schomberg
oder wie Ludwig, aber ich hasse wie die Pest die Frömmler wie Marillac und Bérulle, für die das Evangelium nur ein Instrument
der Macht ist.
Als ich die Infantin zum erstenmal in Brüssel sah, war sie, wie gesagt, siebzig, und es bedurfte nur weniger Worte und Blicke,
bis ich in ihr die liebenswerteste alte Dame der Schöpfung entdeckte. Die Zeit, die auch die schönsten Gesichter aushöhlt
und entstellt, hatte sie mit leichtem Flügel gestreift, sie war gealtert, ohne häßlich zu werden. Ihr Gesicht hatte eine Sanftmut,
wie ein frisch erblühtes Mädchen sie kaum hätte aufweisen können.
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