Rache der Königin
Während alte Gesichter für gewöhnlich die Spuren von Trauer
und Bitternis tragen, war das ihre glatt und heiter, und ihre braunen Augen leuchteten vor Güte und Freundlichkeit für die
Menschen, unter denen sie lebte.
Das Gewand der Clarissinnen hinderte sie nicht, die Haare in wohlgeformten Locken aufzustecken und von Kopf bis Fuß vor peinlicher
Reinlichkeit zu strahlen. Sie sprach mit leiser, melodiöser Stimme, ein Zauber bei einer Frau.
Mir schien es offenbar, daß Gaston in ihr eine neue Mutter gefunden hatte, die ihn mehr liebte und für die er mehr Liebe empfand
als für die eigene. Man möge sich aber nicht täuschen. Die Tatsache, daß die Königinmutter ihn seinem älteren Bruder vorzog
– vor allem, weil Gaston nicht der König war und sie mit ihm keinen Machtkonflikt hatte –, bedeutete durchaus nicht, daß sie
ihn mehr liebte, als ihr hartes Herz, ihr aufbrausender Charakter, ihr ewiges Grollen und dummes Trotzen es überhaupt vermochten.
Wer hätte gedacht, daß gerade die Frömmigkeit der Infantin |338| ihren Tod verursachen sollte? Im November 1633, als sie bereits stark hustete und geschwächt war, wollte sie unbedingt und
gegen ärztlichen Rat an einer Prozession teilnehmen. Sie erkältete sich und starb am zweiten Dezember. Die Belgier bedauerten
diesen Verlust sehr, ahnten sie doch, daß der spanische Nachfolger ihnen nicht mehr soviel Wohlwollen entgegenbringen würde
wie die
mezza francese
. Aber mehr als alle weinte Gaston. Als der neue Gouverneur der Niederlande, der Marqués de Aytona, in Brüssel eintraf, war
Gaston bei seinem bloßem Anblick klar, daß er fortan der Hölle näher war als dem Paradies.
Der Marqués war einer jener starren, rauhen und unendlich hochmütigen Hidalgos, die wähnten, der Herrgott habe Spanien auserwählt
und ihm absichtlich das Gold Amerikas beschert, auf daß es mit Hilfe der österreichischen Habsburger in Europa eine universelle
Monarchie gründe, der die Niederlande, Italien, Frankreich, England und die lutherischen deutschen Fürstentümer zu unterwerfen
seien, um endlich in all diesen Ländern die protestantische Ketzerei auszurotten. Dieses fromme Ziel schloß indessen, und
sei es nur als Hintergedanke, die gewalttätige Lust an der Eroberung und Besetzung keineswegs aus.
Als der Marqués zum Gouverneur der Niederlande ernannt wurde, lautete Madrids einzige Maßgabe hinsichtlich Gastons: ihn so
lange wie möglich in Brüssel festzuhalten. Alles übrige war seinem Taktgefühl überlassen, aber sein Taktgefühl war nicht sehr
entwickelt, der Marqués war viel zu hochmütig, um Takt zu haben. Er lud Gaston nicht mehr an seine Tafel und wies ihn seinem
Gefolge zu, wenn er auf den Brüsseler Straßen paradierte. Gaston verstand, daß er kein Gast mehr war, sondern eine Geisel,
und beschloß, die Niederlande heimlich zu verlassen, ohne den Marqués um Erlaubnis zu fragen.
Obwohl es Gaston nicht an Finesse gebrach, beging er doch den Fehler, zu der Königinmutter von seinen Fluchtplänen zu sprechen.
Und schon plusterte sie sich wie eine Gans und stieß, ziegelrot im Gesicht, händeringend, zerzaust, zerrauft und schwitzend,
ihr uns hinreichend bekanntes französisch-italienisches Gezeter aus. Erzählt wurde mir dies nicht von Gaston, sondern von
seinem Rat, Monsieur de Puylaurens, der bei der Szene zugegen war, ebenso wie auf seiten der Königinmutter |339| deren Favorit, der Pater Chanteloupe, die während des Dialogs zwischen Mutter und Sohn – falls man das als Dialog bezeichnen
will –, je nach dem Standpunkt der königlichen Person, der sie dienten, einander mit bösen Blicken maßen.
Kurzum, die Königinmutter entrüstete sich, daß der Sohn ohne sie, seine Mutter, nach Frankreich zurückkehren wolle. Sie beschimpfte
ihn in jeder Weise und schrie, daß sie ihm das niemals erlaube, solange sie lebe.
Gaston verwahrte sich gegen die Schimpfkanonade, auch, sagte er, benötige er ihre Erlaubnis nicht, um nach Frankreich zurückzukehren.
Es stehe ihr ja frei, dasselbe zu tun, dazu brauche sie nur Richelieus Bedingungen zu akzeptieren: nämlich Mathieu de Morgues,
der für sie die ungehörigen Pamphlete gegen den König verfaßt hatte, und ihren Rat, den Pater Chanteloupe, der königlichen
Justiz zu überstellen.
»Der Euch ein so schlechter Berater ist!« erlaubte sich Puylaurens, mit einem verächtlichen Blick auf Chanteloupe, hier einzuwerfen.
Die unerbetene Bemerkung hätte ihn am selben
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