Rache der Königin
zu atmen; ständig mußten Ruhepausen für die Fußsoldaten eingelegt
werden. Doch am schwersten hatten es wohl die Artilleristen. Immerfort mußten die Unglücklichen ihre Kanonen freischaufeln,
und völlig zerschlagen erreichten sie die Etappen, zwei bis drei Stunden nach dem Gros der Armee. Der mitleidige Kardinal
ließ ihnen für die harte Arbeit doppelte Rationen Fleisch und Wein austeilen.
Zwischen Grenoble und Briançon rastete die Armee in den |63| Flecken Vizille, Bourg-d’Oisans, Le Grave, dann Monetier und Chantemerle. Auf der drübigen Seite, in den italienischen Alpen,
die den unseren so gleich sehen, gibt es ein Dorf Cantamerlo, in welchem ich viel später mit Graf Sault und dem Schweizerregiment,
das er befehligte, eine halbe Stunde nach einem erschöpfenden Marsch verweilen sollte, von dem noch die Rede sein wird, weil
ihm beim Angriff auf Susa große Bedeutung zukam.
Doch zurück nach Briançon, der letzten Etappe vor dem Montgenèvre-Paß, bevor wir die italienische Grenze überschritten. Dort
richtete der König ein Sendschreiben an Herzog Karl Emmanuel I. von Savoyen mit der Bitte, uns freien Marsch durch Susa zu
gewähren, um Casale zu befreien. Dieser Brief, den ich die Ehre hatte ins Italienische zu übersetzen, war selbstverständlich
höflich und sogar liebevoll abgefaßt, war doch des Herzogs Sohn, der Fürst von Piemont, mit Chrétienne 1 , der Schwester des Königs, vermählt. Hierauf erschien der Fürst von Piemont persönlich, der wie sein Vater sich übermäßig viel auf den strategischen Wert von Susa zugute hielt,
das er als den »Schlüssel zu Italien« bezeichnete, und stellte dementsprechend überhöhte finanzielle wie territoriale Forderungen,
um den Franzosen
il passo di Susa
zu öffnen, welcher aus drei dem großen Stadttor vorgelagerten Barrikaden bestand. Und was Richelieu auch unternahm, den Fürsten
zur Mäßigung seiner Forderungen zu bewegen, wich dieser doch keinen Deut davon ab. Worauf der Kardinal denn vermutete, daß
diese Gespräche einzig zum Zeitgewinn dienten. Und wirklich erfuhr man später, daß der Fürst von seinem Vater die geheime
Instruktion erhalten hatte,
di trattare, ma di concludere nulla.
2
***
Bevor nun der Schwager nach Susa zurückkehrte, nahm Ludwig ihn beiseite und sagte, wenn er mit dem Herzog von Savoyen zur
Einigung gelangen würde, wolle er, wenn der Fürst es erlaube, gern seine jüngste Schwester Chrétienne wiedersehen, und der
Fürst versicherte ihm sogleich, daß dies geschehen solle.
Ludwig hatte bekanntlich drei jüngere Schwestern: Elisabeth, |64| die Gemahlin Philipps IV. von Spanien, Henriette, Gemahlin Karls I. von England, und Chrétienne, die man dem Fürsten von Piemont
zur Frau gegeben hatte, der nun im Vergleich mit besagten mächtigen Monarchen ein sehr kleiner Herr war, aber wenigstens seine
Frau glücklich machte. Denn wer mußte die armen Prinzessinnen nicht bedauern, die durch ihren Rang dazu verdammt waren, ihr
ganzes Leben wie Verbannte in fremden Ländern zu verbringen, ohne jede Verbindung mit ihren Nächsten, und die im Namen zeitweiliger
Allianzen mit Unbekannten verheiratet wurden, die ihrerseits keinen Grund zur Freude an ihnen hatten. Schlimmer noch! Die
Ironie dieser traurigen politischen Ehen war doch, daß sie letztendlich zu gar nichts nützten, denn daß Elisabeth in Spanien,
Henriette in England und Chrétienne in Savoyen lebten, verhinderte keinesfalls, daß von Zeit zu Zeit Kriege zwischen den drei
Ländern und Frankreich ausbrachen.
Kein Zweifel, daß Elisabeth sich in Spanien nicht allzu glücklich fühlte, wo sie einer erstickend strengen Etikette unterlag
und den Fürsten von der traurigen Gestalt selten zu Gesicht bekam, weil er ihr die Jagd vorzog. Am unglücklichsten aber war
Henriette dran. Vom englischen Volk als Französin und Katholikin verabscheut, hatte die Ärmste einen Fürsten zum Gemahl, der
zwar kein Bösewicht war, sich aus dem weiblichen Geschlecht aber nichts machte und ein Diamantarmband eher seinem Geliebten
als seiner Gemahlin schenkte.
Nachdem Ludwig als Knabe seinen angebeteten Vater verloren hatte, übertrug er seine große Liebe natürlich nicht auf die lieblose
Mutter, sondern auf seine drei kleinen Schwestern, von denen er sich »Papachen« nennen ließ und bei denen er den väterlichen
großen Bruder auch tatsächlich perfekt spielte, sie bald schalt, bald liebkoste, Omelettes für sie buk und ihnen zu
Weitere Kostenlose Bücher