Rache der Königin
Zorn vor Zeugen freien Lauf: ›Der Kardinal
stellt mir Bedingungen. Habt Ihr das gehört? Man behandelt mich wie einen Knaben, dem man die Brote buttert! Man will erlauben,
daß ich nach Paris gehe,
sofern
ich meinen Einzug in Nîmes halte! Und was, wenn ich mich weigere, meinen Einzug in Nîmes zu halten? Darf ich dann nicht nach
Paris? Zum Teufel, bin ich ein Schuljunge? Ist der Kardinal mein Hofmeister? Gibt es auf der Welt etwas Starrsinnigeres als
den Kardinal, der sich nicht im geringsten um meine Gesundheit schert? Mein Gott, diese greuliche Hitze hier! Soll ich mich
etwa dem Herrn Kardinal zu Gefallen über das glühende Pflaster dieser Stadt schleppen? ›Sofern‹! Hat man je eine solche Unverschämtheit
gehört?‹
Keine Stunde nach dem königlichen Zornesausbruch – über den die einen sich betrüben, die anderen jubilieren – hört Richelieu
von einem seiner Lauscher, welche Worte gegen ihn gefallen sind: Er zittert, er errötet, er weint.«
»Er weint?«
»Ja, er weint! Bei diesem Mann hat alles Übermaß: das unerhörte Wissen, der scharfsinnige Verstand, die Arbeitskraft, der
Wille, der unzähmbare Mut, aber, müßt Ihr wissen, mein lieber Herzog, eben auch die Empfindsamkeit. Doch unbesorgt, bald hat
der Kardinal seine Tränen getrocknet, seine Augen gebadet, er eilt zum König und unterbreitet ihm, ganz Milch und Honig, |122| einen genehmeren Plan: ›Man gibt bekannt, daß der König seinen Einzug in Nîmes halten wird. Im letzten Moment stellt man den
französischen Garden und den Schweizern aber einen Marschall voran, und ich erkläre dem Stadtrat, der König habe eiligst abreisen
müssen, um der Ständeversammlung von Tarascon vorzusitzen, und dann bestätige ich Eure Versprechen, Sire, mit allem, was die
Kultfreiheit betrifft, die Ihr der Stadt gewährt.«
»Wie merkwürdig«, sagte ich, »die Hetzschreiber in Gastons Diensten verklagen Richelieu, er tyrannisiere den König! In diesem
Fall ist es das ganze Gegenteil!«
»Wartet’s ab, lieber Herzog. Die Geschichte nimmt noch eine pikante Wendung.«
»Ich höre.«
»Der König ist wieder im Lot, Richelieu geht heim, wieder einmal gerettet, jedoch tief traurig, tief bekümmert. Wie bei allen
Nervösen schmerzt ihn, weil die Seele leidet, fast der ganze Körper. Er legt sich nieder, verbringt eine unruhige und gequälte
Nacht, und als es ihm am Morgen nicht besser ist, bleibt er im Bett liegen. Und wie er so im Bette liegt, hört er in seinem
Logis großen Aufruhr, Stiefel lärmen, Türen schlagen, plötzlich geht seine Zimmertür auf, und der König bricht wie der Sturmwind
herein.
›Ich habe meine Meinung geändert!‹ sagt er mit rascher Stimme. ›Ich werde schleunigst an der Spitze meiner Soldaten meinen
feierlichen Einzug in Nîmes halten! Und es versuche niemand‹, setzt er in scharfem Ton hinzu, ›mich davon abzubringen! Man
würde mich ebenso schwer verärgern wie gestern, als man mich zu überreden versuchte, es zu tun!‹
Und erhobenen Hauptes geht er davon.«
Hierauf wandte Schomberg mir sein breites Gesicht zu. »Nun, was sagt Ihr dazu?« fragte er.
»Daß der Umschwung ein bißchen kindisch ist, aber gleichzeitig auch unendlich rührend. Ludwig ist ein Mensch, für den das
Wort ›Pflicht‹ keine leere Hülse ist. Nachdem er Richelieu abgekanzelt hatte, muß ihm klargeworden sein, daß es wirklich allein
seine Sache war, feierlich in Nîmes einzuziehen und den Einwohnern Sicherheit für ihre Zukunft und die freie Ausübung ihres
Kults zu geben. Also fügt er sich, aber so, daß er Richelieu seinem Gesetz unterwirft.«
»Und die Szene hat noch einen Aspekt«, sagte Schomberg. |123| »Sie ähnelt doch stark einem Liebesstreit, der gut ausgeht, weil auf beiden Seiten die Liebe und Achtung zu groß sind, als
daß ein Bruch in Frage käme.«
»Und an dieser Beobachtung merkt man«, sagte ich, indem ich den schönen Schomberg lächelnd ansah, »daß hier ein getreuer Ehemann
spricht.«
Worauf Schomberg laut auflachte.
»Ha, mein lieber Herzog!« sagte er, »sind wir auf dem Gebiet nicht Brüder geworden? Wie ich hörte, wart Ihr in Italien der
einzige Edelmann, der den Italienerinnen widerstand. Und unsere liebwerten Klatschmäuler vom Hofe waren herb enttäuscht, weil
sie nicht wie früher allerhand Geschichtchen über Euch verbreiten können.«
***
»Monsieur, auf ein Wort, bitte!«
»Gern, schöne Leserin, ich bin ganz Ohr.«
»Sie und ganz Ohr? Daß ich
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