Rache der Königin
Mehr als einmal habe ich das als
Kind erlebt. Wenn man wie sie das vorstehende Kinn der Habsburger geerbt hat, fällt es leicht, Mienen zu ziehen, die man für
vernichtend hält.«
»Sire«, sagte Richelieu, »es ist nur so, daß die Königinmutter, die zweite Person im Staate, mich öffentlich beleidigt hat.
Unter diesen Umständen kann ich Euch nur bitten, akzeptieren zu wollen, daß ich mich von den Geschäften zurückziehe.«
»Oh, davon kann gar nicht die Rede sein! Keinen Augenblick!« sagte Ludwig mit aller Festigkeit. »Ich will, daß Ihr die Staatsgeschäfte
weiterführt. Habt Ihr bedacht, welch großen Eklat und Schaden Eure Demission nicht nur im Reich, sondern auch im Ausland auslösen
würde? Was die Königinmutter angeht, beunruhigt Euch wegen ihrer Mimik nicht. Früher oder später mache ich mich von ihren
Ungehörigkeiten frei und setze damit auch dem Treiben der Kabalen ein Ende.«
Wir verließen das Kabinett, der König schied von uns, und der Kardinal nahm mich mit zu den Räumen des Schlosses, die ihm
zugeteilt waren. Seine Diener, sein Majordomus, ein Hauptmann und zwei Musketiere waren bereits am Werk, die einen, |134| die Zimmer zu säubern, die anderen, den Wachdienst einzurichten.
»Charpentier! Wo ist Charpentier? Ich brauche Charpentier! Wo, zum Teufel, ist Charpentier?« rief ungeduldig der Kardinal,
indem er durch die Zimmer eilte.
»Eminenz«, sagte der Majordomus mit jener Langsamkeit und Schwerfälligkeit, die diesem Amt anzuhaften scheinen, »Euer Herr
Sekretär ist nicht hier.«
»Wo ist er denn?«
»Eure Eminenz schickten ihn mit einer Nachricht zum Herrn Marschall von Bassompierre.«
»Richtig! Richtig!« rief der Kardinal, »und bei allen Heiligen«, setzte er aufgebracht hinzu, »nun ist er weg, wo ich ihn
am nötigsten brauche.«
Dieser Vorwurf war von so schreiender und komischer Ungerechtigkeit, daß er es selber merkte. Auf der Stelle wurde er ruhig
und wandte sich lächelnd an mich.
»Mein Cousin«, sagte er, »würdet Ihr Euch sehr erniedrigt fühlen, wenn ich Euch bäte, nach meinem Diktat einen Brief an die
Königinmutter zu schreiben?«
»Eminenz, ich würde mich überhaupt nicht erniedrigt, vielmehr hoch geehrt fühlen. Wie Ihr vielleicht noch wißt, habe ich Euch
schon einmal in Eurer Karosse als Sekretär gedient.«
»Ja«, sagte Richelieu, »und ich weiß auch noch, wie hurtig und elegant Eure Schrift war.«
Ich schlürfte diesen Löffel Honig mit gebührendem Respekt, und als ein Diener Briefbogen, Tinte und einen ganzen Satz Federn
brachte, wählte ich mir die bestgespitzte, tauchte sie ins Tintenfaß und wartete. Und Sie glauben ja nicht, Leser, mit welchem
Frohlocken ich das Diktat des Kardinals zu dem nachfolgenden Brief aufnahm. Denn dieser Brief war durchaus nicht das Spiel
von Katz und Maus, sondern, umgekehrt, das Spiel einer Maus, die den Krallen der Katze entwischt ist und sich nun den Spaß
macht, dieser den Schnurrbart zu kitzeln.
Madame, ich habe am heutigen Tag die gleiche Leidenschaft, Euch zu dienen, wie ich sie immer hatte. Da ich aber sehe, daß
ich Euch mißfalle, empfinde ich die größte Pein, die ich je empfand, und bitte Euch gutzuheißen, daß ich mich zurückziehe.
Mit Respekt lege ich alle Ämter in Eure Hände, die ich |135| von Euch erhielt. Mit mir nehme ich meine Verwandten, die in Eurem Dienst standen. Glaubt bitte, daß ich, auch wenn ich Euer
Wohlwollen verloren habe, mich gleichwohl nicht von dem entbunden fühle, was ich Euch seit vierzehn Jahren schulde. Ich bleibe
Euer Diener bis zum letzten Seufzer meines Lebens. Inständig bitte ich Euch, beim König dafür einzutreten, daß er meine Demission
annimmt, mein Entschluß in diesem Punkt ist so unumstößlich, daß ich lieber sterben wollte, als am Hof zu bleiben zu einer
Zeit, da mein Schatten mir Pein bereitet.
Kardinal von Richelieu
Dieses Briefchen, das nur scheinbar liebevoll und respektvoll nur an der Oberfläche war, wurde mir in einem Zug diktiert,
und während ich es, so schnell ich konnte, aufs Papier warf, bewunderte ich Richelieus Eleganz und Wortreichtum – besonders
jenes »da mein Schatten mir Pein bereitet« am Ende des Diktats. Der Kardinal rief seinen Majordomus, faltete, siegelte das
Sendschreiben und übergab es ihm mit der Order, es sogleich der Königinmutter zu überbringen. Dann erhob er sich, öffnete
ein Fenster, atmete tief durch, doch als sein Blick auf die Menge der Höflinge
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