Rache der Königin
Ballsaal sei wegen seiner riesigen Glasfenster zu groß und zu kalt, und versammelte den Rat in einem erheblich kleineren
Raum, genannt der Salon des Königs, denn es war das Gemach, wo er das Licht der Welt erblickt hatte.
Beringhen, der noch die anderen Herzöge und Pairs sowie die beiden Marschälle von Frankreich empfangen mußte, verließ mich
in der Galerie Franz’ I. und kehrte zur Treppe Heinrichs II. zurück. Was mich anging, so begab ich mich zum Salon Ludwigs
XIII., wo ich aber nicht lange allein blieb. Denn wen traf ich davor, wenn nicht den Ehrwürdigen Doktor der Medizin Fogacer,
der mich herzlich umarmte und mich lange mit sichtlichem Wohlgefallen betrachtete:
»Meiner Treu!« sagte ich, »was macht Ihr hier, Ehrwürdiger Doktor? Soweit ich weiß, gehört Ihr dem Großen Rat nicht an.«
»Das nicht, nein! Aber als Auge und Ohr des apostolischen Nuntius werde ich aus Respekt vor Seiner Heiligkeit dem Papst im
Flur des Salons geduldet.«
»Aber was bringt es Euch, wenn Ihr draußen seid anstatt drinnen?«
»Ich warte, bis die Räte aus dem Rat kommen, mustere die Gesichter der Parteigänger des Königs und Richelieus, mustere auch
die Gesichter der Frömmler und ziehe nach den Mienen der einen und der anderen meine Schlüsse.«
»Dazu müßtet Ihr doch aber mehr wissen!«
»Vieles weiß ich schon«, sagte Fogacer mit seinem gewundenen Lächeln. »Unterschätzt Ihr die Diplomatie des Heiligen Stuhls?«
|156| »Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, daß es um Frankreichs Dinge in Italien nicht zum besten steht und daß es in der Sitzung, der Ihr gleich beiwohnen
werdet, mein lieber Herzog, hoch hergehen wird, ich würde sogar sagen, stürmisch.«
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|157| ACHTES KAPITEL
Die Räte – darauf hielt der König mit strenger Hand – erschienen zu unseren Versammlungen sehr pünktlich. Der einzige, der
mit einiger Verspätung eintraf und dem sofort ein Lehnstuhl gebracht wurde, war der arme Kardinal von Bérulle. Und ich staunte.
Dem Bericht der Zocoli zufolge hatte Marillac seinen Zustand als hoffnungslos bezeichnet, er läge krank, »quasi auf dem Sterbebett«,
hatte er gesagt.
Ich schloß hieraus, daß Marillac, als er der Königinmutter diese Auskunft gab, durch eine fromme Lüge hatte verhindern wollen,
daß sie den Kardinal zu ihrer Verstärkung rufe, damit er ihr einziger Ratgeber blieb. Doch nicht, daß es dem armen Bérulle
besser gegangen wäre. Er war totenblaß, konnte nur auf zwei Geistliche gestützt gehen und ließ sich mit sichtlicher Erleichterung
auf dem herbeigeholten Lehnstuhl nieder.
In der Abneigung wie in der Zuneigung gibt es Grade, und ich empfand für Bérulle weniger Abneigung als für Marillac. Nach
meinem Eindruck war Bérulle nicht boshaft. Er war nur borniert und völlig phantasielos. Wenn er sagte, und er sagte es oft,
die protestantische Ketzerei müsse »mit Feuer und Schwert ausgerottet« werden, dachte er nicht etwa an eine europaweite Bartholomäusnacht,
er stellte sich gar nichts darunter vor. Was sich dabei in seinem Geist abspielte, blieb wirr und abstrakt.
Für gewöhnlich stellte der König zu Beginn der Ratssitzung in großen Umrissen die Angelegenheit dar, die zu behandeln stand,
und nachdem alle, die es wünschten, sich dazu geäußert hatten, fragte er Richelieu um seine Meinung.
Damit bot er dem Kardinal die Gelegenheit zu einer umfassenden Darstellung. Der nahm die ganze Affäre von Anfang an durch,
samt all ihren Bestandteilen, worauf er dem König zwei Lösungen vorschlug, zwischen welchen er ihn zu wählen bat.
Die Analyse war klar, vollständig, methodisch, sie basierte einzig auf den Tatsachen und auf der Vernunft, niemals auf Leidenschaften |158| oder Vorurteilen. Ich weiß nicht, ob Richelieu die
Regulae ad directionem ingenii
von Descartes gelesen hatte, die 1628, just nach der Einnahme von La Rochelle erschienen waren. Doch auch wenn Richelieu das
Werk nicht gelesen hatte, war er Cartesianer, ohne es zu wissen. Was mich anging, wartete ich stets mit größter Neugier auf
seine glänzenden Ausführungen. Welche Freude war es, besonders nach den Eseleien und wirren Projekten der anderen, ihm zu
lauschen!
An diesem Morgen trat der König undurchdringlichen Gesichts herein, nahm auf der vorm Kamin stehenden Estrade, mit dem Rücken
zum Feuer, Platz. Die Königinmutter setzte sich mit einiger Dreistigkeit fast gleichzeitig mit ihm und hielt sich steif auf
ihrem Sitz, das Kinn gereckt, die
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