Rache der Königin
Unterlippe vorgeschoben, den Busen herausgestreckt, und mit einer Miene, sagte Guron, als
wolle sie partout nichts von dem hören, was gesagt werden würde.
Kaum saß die Königinmutter zur Rechten des Königs und stand zu seiner Linken Richelieu, änderte Seine Majestät zur allgemeinen
Überraschung die gewohnte Tagesordnung, und anstatt es selbst zu tun, bat er Richelieu, den aktuellen Stand unserer Affären
in Italien darzulegen.
Das Exposé des Kardinals, nüchtern und gründlich wie stets, machte die Räte starr vor Betrübnis: Die kaiserlichen Österreicher
waren mit siebenundzwanzigtausend Mann wortbrüchig ins Veltlin einmarschiert und belagerten Mantua; der unglückliche Herzog
von Nevers hatte nicht viel Chancen, ihnen lange standzuhalten. Die Spanier zogen unter Spinola gen Casale, um mit achtzehntausend
Mann die Belagerung wiederaufzunehmen und Toiras zur Kapitulation zu zwingen.
Was Richelieu nicht sagte, was ich aber später erfuhr, war, daß der König vor dem Zusammentreten des Rates fünf unserer besten
Regimenter in die Alpen entsandt und Reiter zu Toiras geschickt hatte, ihm zu sagen, er solle schnellstens alle notwendigen
Vorräte in Casale anhäufen, während er selbst zur gleichen Zeit Kanonen, Pulver und Getreide, kurz alles, was zu den Bedürfnissen
einer großen Armee gehörte, nach Embrun in unsere südlichen Alpen befördern ließ.
Richelieu schloß sein Exposé mit den Worten, man könne mit den Habsburgern natürlich noch Frieden machen, allerdings zu »schlechten,
erniedrigenden und beschämenden« Bedingungen, |159| indem man ihnen Casale abträte, das aber für uns doch der Schlüssel zu Italien war, und indem man zuließe, daß sie den Herzog
von Nevers aus seinem Herzogtum Mantua verjagten – mit anderen Worten, indem man unsere sämtlichen italienischen Verbündeten
preisgäbe, einschließlich Lodena, Parma und der Republik Venedig. Wenn man diese Politik nicht wolle, müsse man fünfzigtausend
Mann sammeln und gegen die Spanier ziehen.
Der König forderte die Räte auf, ihre Meinungen abzugeben. Nun, nicht alle Feinde Richelieus waren auch Feinde des Krieges
gegen Spanien. Die Mehrheit war sogar sehr empfindlich für den Ehrenpunkt, und es kam gar nicht in Frage, unsere Verbündeten
im Stich zu lassen. Bérulle und Marillac fühlten sich übertölpelt und isoliert. In ihren Augen war die Befragung des Rates
eine leere Zeremonie: Die Entscheidung stand bereits fest. Und weil sie den König nicht anzugreifen wagten, fielen sie – es
war unglaublich – wütend über Richelieu her. »Ihr opfert Eurer Größe«, rief Monsieur de Marillac, »den Frieden eines ganzen
Staates, das Glück eines ganzen Volkes … Ihr wollt nur die Narretei befriedigen, die Euch treibt, das Haus Österreich kleinzukriegen
… Ihr zielt darauf ab, Frankreich mit allen Ländern Europas zu verfeinden …«
Der König, der diese persönlichen Angriffe ungehörig fand und die polemische Wendung, die Marillac der Beratung gab, mißbilligte,
erhob sich, forderte Schweigen und sprach mit starker und entschlossener Stimme: »Nicht wir haben den Frieden gebrochen. Gebrochen
hat ihn der Spanier. Der Spanier ist in Mantua eingefallen mit fünfundvierzigtausend Mann. Nun! wenn die Spanier den Krieg
wollen, sollen sie ihn haben, bis über beide Ohren!«
***
Der arme Kardinal Bérulle starb, wenn ich mich recht entsinne, Anfang Oktober, doch konnte diese Nachricht Marillac nicht
besänftigen, im Gegenteil. Es war, als trüge er nun allein die Bürde der göttlichen Botschaft auf seinen Schultern und müsse
sie, um seines Seelenheils willen, dem König mitteilen. Er wiederholte sie ihm bis zum Überdruß, wann immer sein Amt ihm zu
sprechen erlaubte, und sosehr Seine Majestät ihn für den Fleiß, den Eifer, die Fähigkeiten schätzte, mit denen er dieses |160| Amt ausübte, ließ Sie eine zunehmende Ungeduld erkennen, die Marillac nicht einmal bemerkte, so fest war er überzeugt, der
Krieg gegen die Spanier sei das Gottloseste auf der Welt.
Das ging so weit, daß er Richelieu anbot, sein Amt als Siegelbewahrer niederzulegen. Der Kardinal war baff.
»Was soll das?« fragte er. »Erscheint Euch die Regierung ungerecht?«
»Aber nein, Eminenz! Meinen Rückzug wünsche ich mir seit zwanzig Jahren.«
»Hat dieser Wunsch etwas mit dem Tod des armen Kardinals von Bérulle zu tun?«
»Nein. Mein Ersuchen entspringt einfach dem Wunsch, meinen Abschied zu
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