Rache der Königin
Durchfall ein, und stärker als je zuvor. Man gibt den Patienten verloren, dessen Körper so radikal an Säften verliert,
doch gerade das rettet ihn. Ludwig hatte nämlich nicht an Dysenterie gelitten, wie die Ärzte glaubten, sondern an einem inneren
Geschwür, das zum Glück aufbrach und sich jetzt mit dem Blut ausleerte.
Die Genesung trat ebenso schnell ein, wie die Krankheit ausgebrochen war. Das Fieber sank, der Schmerz verschwand, der Kranke
fiel in friedlichen Schlummer. Am nächsten Morgen wollte er aufstehen und Suppe essen.
Ach, wie viele verlorene Hoffnungen für Marillac und die königliche Familie! Wieviel enttäuschter Ehrgeiz! Und soviel wieder
und wieder geschürter und nun ungestillter Haß!
Doch noch ist die Partie nicht verloren: Die beiden Königinnen besprechen sich im geheimen. Der König ist noch schwach und
bedarf der Schonung. Kann man aus seiner Schwäche nicht Vorteil ziehen und ihm auf sanftestem Wege die Entlassung Richelieus
abringen?
Königin Anna tupft sich mit ihrem Spitzentuch die nicht geweinten Tränen ab, setzt sich liebreich ans Kopfende zu ihrem Gemahl,
und mit reizender Verlegenheit, indem sie auf ihren Zustand verweist (wieder einmal erwartet sie einen Dauphin), spricht sie
von ihrer grenzenlosen Erleichterung, ihn gerettet zu sehen, nachdem sie tödlich gelitten habe in dem Gedanken, ihn zu verlieren
… Hierauf bittet sie ihn, fleht ihn an, Richelieu zu entlassen, »den Urheber all unserer Leiden und namentlich des Euren,
Sire«.
Auch Ludwig ist sehr weich gestimmt. Er drückt der Königin seine Hoffnung und seine herzlichen Wünsche aus, auf daß ihre Schwangerschaft
diesmal gelinge, und bittet sie »vielmals um Entschuldigung, daß er bis dahin nicht gut mit ihr gelebt habe«.
|205| Ist das Großmut oder Ironie? Denn wer sich hätte entschuldigen müssen, wäre doch eher diese törichte Frau gewesen, sowohl
für ihren Leichtsinn in der Affäre Buckingham wie für ihre trübe Rolle in der Affäre Chalais, vor allem aber für die verräterischen
Informationen, die sie so lange über die französische Politik nach Spanien gemeldet hat.
Aber Ludwig fühlt sich zu schwach, um sich und mithin sie nicht zu schonen. Zwar insgeheim stark beunruhigt, in diesem Moment
einer so taktlosen Zumutung zu begegnen, will er mit Anna keinen Streit anfangen, der sich Tag für Tag fortsetzen würde. »Meine
Liebe«, sagt er, »Ihr habt tausendmal recht, aber Ihr werdet verstehen, daß ich Euren Wünschen nicht willfahren kann, solange
der Frieden mit Spanien nicht unterzeichnet ist.«
Die kleine Königin nimmt die ausweichende Antwort für bare Münze. Triumphierend eilt sie zur Königinmutter, der aber dieser
Triumph nun durchaus nicht gefällt, denn wenn es auf der Welt jemanden gibt, dem der König nachgeben darf, dann seiner Mutter
und niemandem sonst. Sie beschließt also, mit all ihrer Gewichtigkeit den Sieg davonzutragen.
Diese zweite Demarche entsetzt den König. Wenn er Königin Anna auch nicht eben hochschätzt, empfindet er für sie doch eine
gewisse Zuneigung. Seine anfänglichen Schwierigkeiten, die »Ehe zu vollziehen«, hatte er schließlich überwunden. Und Doktor
Bouvard, dem die Kammerfrau, die den Nachtdienst versieht, jeden Morgen berichtet, was sich zwischen den Gatten abgespielt
hat, führt peinlich genau Buch über die Liebesbeziehungen des königlichen Paares. Einsichtig vermerkt er, wenn der König mit
seiner Gemahlin nur einmal Liebe gemacht hat, er habe seine monarchische Pflicht erfüllt, weil er einen Dauphin wolle. Wenn
es aber zwei- oder dreimal war, so bedeute das offensichtlich, daß er daran Vergnügen fand. Damit dreht Doktor Bouvard im
voraus allem Geschwätz den Hals um, das über Ludwigs Frigidität umläuft, allerdings haben Bosheit und Verleumdung seit je
ein zäheres Leben als die schlichte Wahrheit.
Noch bevor die Königinmutter majestätisch auf einem Lehnstuhl vor seinem Bett Platz nimmt, weiß Ludwig, was sie von ihm fordern
wird und mit welchen Worten und, wenn er nein sagt, mit welchem Geschrei sie die Ablehnung quittieren wird. Sogleich kommt
Ludwig dem mit der Ergebung zuvor, die einem guten Sohn gegenüber der verehrten Mutter ziemt. Er |206| wisse, was sie will, sagt er, und er sei ihrem Verlangen gern zugänglich. Sein Entschluß stehe fest. Aber die Ausführung müsse
ein wenig warten, denn selbstverständlich könne er nichts machen, bevor er nicht wieder in Paris sei.
Die
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