Rache: Die Eingeschworenen 4
Arnkel, der uns Märchen erzählt hatte, die fast so gut wie Krähenbeins waren. Bjaelfi untersuchte ihn nach Anzeichen von roten Pocken, aber er war nur am Dünnschiss gestorben, mit dem er schon einige Zeit zu kämpfen gehabt hatte.
» Ach ja, damit ist es zu Ende mit der reinen Wahrheit«, sagte der rote Njal traurig, als Bjaelfi uns am Morgen am Feuer die Nachricht brachte. » Keine Märchen mehr von ihm.«
» Die Wahrheit?«, fragte Kaelbjörn Rog verständnislos. » In Kindermärchen?«
» Ja«, sagte der rote Njal düster. » Wenn sie von Leuten erzählt werden, die alt genug sind, um sich zu erinnern. Die Weisheit kommt von welken Lippen, wie meine alte Großmutter immer sagte.«
» Und hat sie das gesagt, ehe sie dir eine ihrer Geschichten erzählte?«, fragte Kaelbjörn Rog. » Wahrscheinlich waren die von Anfang bis Ende erfunden.«
» Nur die, die niedergeschrieben wurden«, sagte der Rote Njal mit Überzeugung, und die Männer rückten näher, um zuzuhören, denn diese Diskussion war fast so unterhaltsam wie eine von Arnkels Geschichten.
» Meinst du damit«, sagte Abjörn langsam und seine Worte wägend, » dass Geschichten nur wahr sind, solange sie nicht aufgeschrieben sind?«
Der rote Njal runzelte die Stirn. » Du machst dich besser nicht über mich lustig, Abjörn. Klugheit ist kein Grund, sich etwas einzubilden, wenn man nicht gleichzeitig den Verstand hat, seine Zunge unter Kontrolle zu halten, wie meine Großmutter immer sagte.«
Abjörn breitete die Hände aus und schüttelte den Kopf; so hatte er es nicht gemeint.
» Frag Krähenbein, schließlich ist er zuständig für Märchen.«
Krähenbein, der in die Flammen gestarrt hatte, merkte, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren. Er hob den Kopf aus seinem weißen Pelzumhang.
» Wenn dir jemand etwas erzählt, kannst du den Erzähler sehen und ihn beurteilen. Aber wenn du es liest, kannst du nicht wissen, wer es aufgeschrieben hat, und deshalb kannst du nicht sagen, ob es wahr ist oder nicht.«
Der rote Njal brummte zustimmend, und Finn lachte leise und schüttelte mit gespieltem Bedauern den Kopf.
» Da habt ihr’s«, sagte er, » und noch dazu aus dem Mund eines höchst ungleichen Gespanns, von denen alle beide nichts Geschriebenes lesen können, nicht mal Runen. Also, wie wollen die es wissen?«
» Das verstehst du nicht«, sagte der rote Njal aufgebracht. » In solchen Geschichten liegt ein Zauber, und wenn du an der Wirkung zweifelst, denk nur daran, wie es war, wenn Krähenbein uns seine Geschichten erzählt hat.«
Darauf konnte Finn nichts erwidern, denn er erinnerte sich nur zu gut, besonders an die Geschichte, mit der wir einst dem Zorn der bewaffneten Wächter entkommen waren. Er gab es zu und verbeugte sich vor Krähenbein, und als er sah, dass der Junge es kaum bemerkte, fügte er hinzu: » Vielleicht würde der Prinz der Märchenerzähler uns jetzt mit der Geschichte erfreuen, die er sich gerade ausdenkt?«
Krähenbein wandte seine merkwürdigen Augen vom Feuer ab und sah in die Runde.
» Es ist keine Geschichte. Ich musste gerade an den Wal denken, den wir einmal fanden.«
Jetzt kam Bewegung in die Mannschaft, als sie gemeinsam mit ihm diese Geschichte wieder Stück für Stück aus ihrer Erinnerung holte… Es war an einem einsamen Strand gewesen, an dem wir zur Nacht angelegt hatten, wo sie den kleinen Wal gefunden hatten, der auf dem Sand lag und kaum noch lebte. Und obwohl das Land einem anderen gehörte, zerlegten sie ihn und schnitten sich große, dicke Speckstücke heraus und aßen wie die Könige. Es war ein blutiges, fettiges Festmahl.
Es war eine Erinnerung an die Heimat, an nordische Gewässer und Strände, und sie verzauberte uns alle wie ein Traumbild. Aus irgendeinem Grund, den wohl nur Odin wusste, musste ich an meinen Acker mit Grünkohl und Rüben denken, den ich hinter der Halle von Hestreng angelegt hatte. Unter Thorgunnas Pflege war alles gut gediehen, denn sie goss den Acker regelmäßig mit dem Wasser, in dem sie vorher die Kinderwäsche gewaschen hatte, und der Acker hatte alles überlebt, als Hestreng in Schutt und Asche gelegt wurde.
Uddolf platzte in unsere gemütliche Runde und rief nach Freiwilligen, um Arnkel zu begraben. Die engsten Freunde gingen mit, aber schließlich standen wir alle am Grab, und als Godi gab ich ihm einen meiner letzten drei Armringe mit, um ihn zu ehren, was den Männern ein kleiner Trost nach diesem Verlust war.
Wir fühlten uns alle niedergeschlagen. Onund
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