Rache ist lavendelblau
mit einem grauen Dutt im Nacken, übergoss die beiden Besucherinnen mit überschäumender Herzlichkeit, nahm ihnen die Mäntel ab und geleitete sie in ihr Büro. Über das Geländer des Stiegenhauses hatten sich neugierig einige Kinderköpfe gedrängt und erwartungsvoll heruntergelugt. Vor der Bürotür wurde getuschelt und wohl auch gelauscht.
„Das ist bei uns etwas Besonderes, wenn Besuch kommt. Leider ist es meist die Polizei“, entschuldigte sich Frau Selig für die Geräusche vor ihrer Tür. „Unser Haus besteht seit mehr als zehn Jahren. Fragen Sie mich bitte nicht, wie viele Schicksale hier schon durchgegangen sind. Gegenwärtig wohnen hier zwölf Frauen mit insgesamt achtzehn Kindern. Wir haben leider viel mehr Anfragen, als wir Betroffene aufnehmen können, der Platz, Sie verstehen.“
Heidrun betrachtete die vielen bunten Bilder an der Wand. Die Heimleiterin fand sich auf vielen der kindlichen Zeichnungen; ihr Dutt, meist übergroß dargestellt, verriet sie.
„Es sind nur die Hübschen, die Unverfänglichen an der Wand, Sie glauben gar nicht, was sich auf Kinderzeichnungen oft findet. Die nimmt dann der Psychologe zu den Akten. Darf ich Sie zu Kaffee und Kuchen einladen? Die Frauen haben etwas vorbereitet.“
Eine kleine Hand zwängte sich zwischen Heidruns Finger. „Komm“, lispelte Kevin, der spindeldürre Sechsjährige, und drängte sie sanft aber bestimmt in den Speisesaal hinein. Der Duft von frischem Kaffee durchzog den Raum, dem auch noch die mittäglichen Küchendünste innewohnten. Vom weißen Tischtuch hob sich eine Unzahl knallrosa Punschkrapferl kokett ab; Annette hatte heute deren Locken nicht widerstehen können; die Auslage des Konditors am Eck war ihre ganz persönliche Fallgrube. Heute hatte sie zugreifen müssen, die Bewohnerinnen des Frauenhauses boten einen geradezu perfekten Vorwand.
„Ein bisserl Punsch hebt die Stimmung“, war ihre Ausrede gewesen, als sie mit einem blümchenverzierten Karton das Geschäft verlassen, und Heidrun sie fragend angesehen hatte.
„Was ist denn da drinnen?“, flüsterte Kevin leise, so als dürften die restlichen Anwesenden an der Lüftung des Geheimnisses nicht teilhaben; er deutete zaghaft mit seinen dünnen Fingern auf den langen Speisetisch hinauf, auf dem einige bauchige Taschen und bunte Päckchen die Kinderaugen magisch anzogen.
„Ich weiß es auch nicht“, log Heidrun, „Mach´ halt ein Packerl auf.“ In Windeseile waren sie von einer Schar drängelnder Kinder umringt, die sich an der unerwarteten Bescherung beteiligten. Bald überzog ein Berg von Schachteln, Säcken und Geschenkpapier den Boden, zwischen denen vor Freude jubelnde Kinder tollten. Den Erwachsenen bot sich ein von bunten Bauklötzen, Teddybären, Eisenbahnwaggons, Puppen, Zeichenstiften und Legosteinen übersäter Raum.
„Ich fass´ es nicht!“, jubelte eine junge Mutter, ein Baby im Arm, „Ist schon wieder Weihnachten?“
*
Die Luft war klar und frisch; es hatte kräftig geschneit, als sie den Heimweg antraten. Heidrun und Annette stapften, lange in Gedanken versunken, durch den frischen Schnee, die Hände tief in ihren Manteltaschen vergraben.
„Wie leicht man so viel Freude schenken kann, und wie dankbar es meist angenommen wird“, sagte Heidrun plötzlich und Annette nickte, während die schon ihre Hand nach der Freundin ausstreckte, um sie in eine kleine Bar hineinzuziehen, eine jener kleinen Einkehrstuben, die Bummelstudenten tagsüber belagerten, um sie anschließend an die heimkehrenden Werktätigen, die sich nach dem Dienst noch schnell ein Bierchen bewilligten, abzutreten.
„Da drin gönnen wir uns jetzt noch einen heißen Punsch, der Kaffee bei Frau Selig war etwas dünn.“
„Ich hab´ morgen beim „Hausmarkt“ einen Termin“, sagte Heidrun und steckte ihre Nase prüfend in das Glas, das sie mit beiden Händen fest umklammert hielt. Der Punsch duftete, war heiß und stark und brachte das ersehnte Hochgefühl. Den „Hausmarkt“ hatte sie schon vor ein paar Monaten kontaktiert; und vor einigen Tagen kam ein Anruf, der Heidrun das Aufgehen ihrer Saat bestätigte.
„Was? Sag bloß, du hast schon, ich glaub ´s einfach nicht!“, wunderte sich Annette über das zügige Fortschreiten von Heidruns umfangreichem Vorhaben. „Warum hast du diesmal den „Hausmarkt“ und nicht Desider eingespannt? Der hat doch bisher alle deine …“, Heidrun winkte ab.
„Desider? Der hat seine Kanzlei reduziert, macht inzwischen nur mehr auf Anwalt und
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