Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
so wie damals.
Ich wollte schlafen gehen, aber die Angst, dass ich auf mich aufmerksam machen würde, wenn ich aufstand und gute Nacht sagte, lähmte mich. Ich hatte einfach einen Fehler gemacht, als ich mich noch einmal hinsetzte.
Ich fand es schon immer furchtbar, groß zu sein, und als ich zwölf war und meine Schwester Claire zu mir sagte, dass meine Mutter mit mir über meine körperlichen Veränderungen sprechen wollte, dachte ich, sie meinte meine Körpergröße.
Seltsamerweise rief meine Mutter mich ungefähr zwei Monate nach dem Aufklärungsgespräch über monatliche Blutungen (in dem die Aussage »Tampons sind das Werk des Teufels« unterschwellig mitschwang) noch einmal zu sich. Diesmal wollte sie tatsächlich über meine Größe sprechen, weil ich so krumm und bucklig durch die Gegend lief.
»Stell dich gerade hin, jetzt mach schon, häng nicht so krumm da, wie ein Baum über einer Mauer«, sagte sie forsch. »Schultern zurück, Kopf hoch. Gott hat dich groß geschaffen, da brauchst du dich nicht zu schämen.«
Sie glaubte natürlich kein Wort von dem, was sie sagte. Obwohl sie selbst groß war, vertrat sie ganz offensichtlich die Meinung, dass eine Größe von eins fünfundsechzig im Alter von zwölf Jahren einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde gerechtfertigt hätte. Aber ich murmelte: »Ist gut«, und versprach, mich daran zu halten.
»Nicht mit der Nase auf dem Bürgersteig entlang«, sagte sie. »Zeig deine ganze Größe!« Daraufhin fing sie hysterisch an zu kichern. »Klar, wie sollst du sie auch verstecken?« prustete sie und stürzte aus dem Zimmer, während ich ihr verdutzt nachsah. Hatte sie mich etwa ausgelacht? Meine eigene Mutter ...?
Kaum war sie aus dem Zimmer, kam Claire herein und stürzte sich auf mich. »Hör mir zu«, sagte sie eindringlich. »Glaub ihr kein Wort.«
Mit ihren sechzehn Jahren schien Claire mir atemberaubend schön, und ich verehrte sie uneingeschränkt. Selbstverständlich glaubte ich ihr vorbehaltlos.
»Halt dich nicht aufrecht«, sagte sie, »Halt deinen Kopf nicht hoch. Nicht«, so fuhr sie düster fort, »wenn sich je ein Junge für dich interessieren soll.«
Ja, aber natürlich sollten sich Jungen für mich interessieren. Ich wollte einen Freund noch mehr als einen Minirock oder Tukka-Boots, also hörte ich ihr genau zu.
»Die machen einen großen Bogen um dich, wenn du größer bist als sie«, klärte sie mich auf. Ich nickte feierlich. Was sie alles wusste! »Eigentlich muss man ziemlich viel kleiner sein, damit sie einen mögen. Sonst fühlen sie sich bedroht«, sagte sie finster.
»Klein und dumm«, fasste sie zusammen. »Das mögen sie am liebsten.«
Ich nahm mir also Claires Ratschlag zu Herzen. Und ich fand, dass sie recht hatte. Ehrlich gesagt hätte sie sich selbst mehr an ihre eigenen Worte halten sollen. Ich war überzeugt, dass ihre Ehe deswegen gescheitert war, weil Claire, wenn sie hochhackige Schuhe trug, genauso groß war wie James. Und das hatte sein Ego nicht verkraftet.
14
Z eit, ins Bett zu gehen. Ich hatte mir das so vorgestellt: Gähnen, die Arme über den Kopf strecken, die Augen mit den Fingerknöcheln reiben, ächzen und stöhnen, ein flauschig-weiches Nachthemd überstreifen und sich gemütlich unter einer dicken Daunendecke zurechtkuscheln, um dankbar in einen zwölf Stunden währenden, erholsamen, heilenden und glücklichen Schlaf zu sinken.
Von wegen!
Man könnte auch sagen: in den Arsch gekniffen!
Mir stand ein ganz schöner Schock bevor, als ich ins Zimmer kam, bereit, sofort ins Bett zu kriechen, ohne mein Make-up zu entfernen. (Das gestattete ich mir nur an besonderen Abenden – wenn das Leben besonders anstrengend war oder nach exzessivem Rauschmittelkonsum.) Denn zu meiner Überraschung war Chaquie bereits im Zimmer. Mist, ich hatte sie ganz vergessen.
Sie saß auf der Bettkante, die Beine elegant übereinandergeschlagen, und manikürte sich die Fingernägel – so interpretierten zumindest meine ungeschulten Augen das, was sie da sahen. Ich hatte noch nie eine Maniküre gebraucht. Meine Angewohnheit, die Nägel bis zum Nagelbett herunterzubeißen, erfüllte den gleichen Zweck.
»Ach, hallo«, sagte ich nervös. Musste ich mich mit ihr unterhalten?
»Hallo, Rachel.«
Anscheinend ja.
»Komm, setz dich doch.« Einladend klopfte sie auf das Bett neben sich. »Ich hatte richtig Mitleid mit dir beim Abendessen, weil du neben diesem ekelhaften Tier, diesem John Joe sitzen musstest. Die Geräusche, die er
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