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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Unperfekten
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Aussehen.«
    »Das war
ich.« Ornella sagt das, als ob sie es gerade zum ersten Mal erführe.
    »Ich gehe
lieber mal zurück«, sagt Kathleen, ihr Black-Berry signalisiert eine Nachricht.
»Ich hab gar keine Jacke dabei.«
    »Eine
Sekunde noch.« Ornella fasst Kathleen am Zipfel eines Blusenärmels und zieht
sie bei roter Ampel und durch die hupenden Autos hindurch über die Kreuzung an
der Piazza Sant'Andrea della Valle. »Also, Sie erinnern sich noch, dass Cosimo 1994 ins
Krankenhaus kam?«
    »Natürlich
- das kam so völlig unerwartet.«
    »Unerwartet
nicht. Er hatte die Probleme schon Wochen, bevor ich ihn eingeliefert habe.«
    »Das
wusste ich nicht.«
    »Oh ja«,
fährt Ornella einfach fort. »Das erste Anzeichen war, glaube ich, als wir in
die Ferien fahren wollten und er in letzter Minute einfach alles storniert hat.
Ich wollte das Beste daraus machen, ich fand, wir könnten ja auch mal die Stadt
genießen. Aber er hat einen Wutanfall gekriegt. Ich konnte mir den nicht
erklären. Naja, er trank, und damit hatte es vermutlich auch zu tun. Er hat
mich regelrecht in den Kühlschrank geboxt!« Sie lacht auf. »Die Tür stand offen
- ich wollte gerade den Eiswasserkrug herausholen -, und ich bin in die Fächer
geknallt. Das Komische war, dass er mich immer weiter geschubst hat, so als
wollte er mich in den Kühlschrank stopfen. Ich habe da drin alles Mögliche
umgerissen. Ein Glas Kapern ist kaputtgegangen. Und ich dachte nur:
>Scherben im Kühlschrank. Die Putzfrau findet die nie alle. Und irgendjemand
schluckt die aus Versehen runter.< Was für ein dämlicher Gedanke. Na, wie
auch immer, er hat sich einfach umgedreht und ist weggegangen. Ich hatte
entsetzliche Angst, dass jemand mitkriegt, dass er weg ist. Aber wir waren ja
angeblich in den Ferien, also hat niemand etwas gemerkt - ich bin einfach nicht
aus dem Haus gegangen. Hatte jede Menge Zeit, die ganzen Scherben aus dem
Kühlschrank zu holen.«
    »Das ist
ja eine furchtbare Geschichte. Tut mir so leid«, Kathleen bleibt auf dem
Bürgersteig stehen. »Ich finde es beeindruckend, dass Sie über diese Geschichte
mit Cosimo so reden können. Aber - bitte, verstehen Sie mich nicht falsch -
sind Sie eigentlich aus einem bestimmten Grund heute vorbeigekommen? Nicht,
dass Sie einen brauchen. Nur, weil ich jetzt wirklich zurückmuss.«
    »Die Frage
ist berechtigt. Normalerweise rede ich über Privates mit niemandem außer mit
Marta, meiner Putzfrau.« Kathleen lacht.
    »Was ist
denn daran komisch?«
    Ornella
schnappt wieder Kathleens Ärmel und zieht sie noch weiter weg von der Zeitung,
um weiter reden zu können, und wenn sie die Jüngere dafür bis zur Piazza
Venezia schleifen muss. »In der Zeit, als Cosimo weg war, rief die Bank an,
wegen etlicher Abhebungen. Sie nannten mir die Beträge, die waren so
schwindelerregend, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ich kann heute
noch nicht verstehen, wie er es geschafft hat, so schnell so viel Geld auf den
Kopf zu hauen. Dann rief die Polizei an: Sie hatten einen etwa Sechzigjährigen
festgenommen, und zwar wegen Kokainbesitzes. Als ich ihn von dort abholte,
redete er ohne Punkt und Komma. Hat immer wieder eine Australierin erwähnt.
Die hatte er während seiner Abwesenheit irgendwo aufgelesen, und jetzt wollte
er unbedingt, dass wir durch die Gegend fahren und sie suchen. Er hatte einen
abgebrochenen Zahn, er hatte sich geprügelt, stellen Sie sich das mal vor.
Irgendwie habe ich es geschafft, uns nach Hause zu bringen. Er hörte nicht auf
zu reden. Und feiern wollte er. >Was denn feiern?<, habe ich gefragt. Da
hat er ein ganzes Glas voll Brandy geschüttet und zwang mich, es auszutrinken.
Dann wollte er mit mir schlafen. Ich wollte nicht. Aber er setzte sich durch.«
    Sie zerrt
Kathleen über die Straßenbahnschienen auf dem Largo Argentina zur
Fußgängerinsel rund um die Ruinen aus dem alten Rom. »Dann bekam er wieder einen
Wutanfall«, erzählt Ornella weiter, »behauptete, ich würde ihm die
Karriereaussichten ruinieren. Ich habe versucht, ihn zu verstehen, ihn zu
begreifen. Er schleifte mich durch die ganze Wohnung. Und schrie mich an. Ein
Maleratelier wollte er aufmachen und massenweise Mädchen ficken - das sagte er
zu mir, mit diesen Worten, zu mir, seiner Frau. Er packte mich am Träger meines
BHs und schleifte mich weiter, und der Träger riss. Die ganze Zeit versuchte
ich, ihm in die Augen zu sehen. Als es mir gelang, war sein Blick völlig leer -
das gehört zum Schrecklichsten, was ich je gesehen

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