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Radikal führen

Radikal führen

Titel: Radikal führen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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auf kooperatives Schweigen vertraute, und er verrät dieses Vertrauen. Oder er vermutet, dass der andere ihn mit einem Geständnis verraten wird, und versucht den Schaden mit dem eigenen Geständnis zu minimieren. In diesem Fall ist Misstrauen seine Motivation. Die Spieltheorie prognostiziert, dass sich beide Spieler für unkooperatives Verhalten entscheiden, um nicht durch einseitige Kooperation den Kürzeren zu ziehen. So weit der Standard.
    Der Sozialpsychologe Lee Ross und seine Kollegen entwickelten nun aber eine neue Variante des Experiments. Sie erklärten der einen Hälfte der Teilnehmer, das Spiel habe einen bestimmten Namen, nämlich »Community Game«. Der anderen Hälfte erklärten sie, es heiße »Wall Street Game«. Das Ergebnis: Obwohl beide Gruppen sozial identisch zusammengesetzt waren, spielten in der »Community Game «-Gruppe 70 Prozent aller Teilnehmer von Beginn an kooperativ – obwohl sie sich damit individuell einem hohen Risiko aussetzten. In der »Wall Street«-Gruppe war das Ergebnis genau spiegelbildlich: 70 Prozent spielten von Beginn an unkooperativ, um für sich selbst das Maximale herauszuholen. Die wichtigste Erkenntnis: Offenbar lassen sich viele Menschen (Ross schätzt mindestens 40 Prozent der Teilnehmer) in ihrem Verhalten von der Definition des Spiels beeinflussen – und zwar unabhängig von ihrer grundsätzlichen Einstellung zu Kooperation und Wettbewerb. Wer glaubt, es gehe in diesem Spiel ums Gemeinwohl, verhält sich entsprechend; wer glaubt, es gehe um Eigennutz, passt sich ebenfalls entsprechend an.
    Dieses Ergebnis war schon eindrucksvoll genug. Der eigentliche Clou des Experiments aber zeigt sich in einem weiteren Schritt. Jeder einzelne Versuchsteilnehmer wurde vor dem Experiment psychologisch getestet, ob er sich aller Wahrscheinlichkeit nach eher kooperativ oder eher unkooperativ verhalten würde. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass die Prognosegenauigkeit des psychologischen Tests weit hinter der verhaltensprägenden Kraft der Spiel-Definition zurückblieb. Diejenigen Spieler, die als eher misstrauisch und unkooperativ eingestuft wurden, ließen sich durchaus zu kooperativem Verhalten bewegen, wenn sie einen entsprechend titulierten Kontext betraten. Und umgekehrt: Teilnehmer, die als vertrauensbereit und kooperativ identifiziert wurden, mutierten in einem wettbewerbsdefinierten Kontext zu Sozialmonstern. Aus dem Spielkontext heraus ließ sich also das Verhalten der Teilnehmer weit besser vorhersagen als aus den Tests.
    Was können wir daraus lernen?
    Erstens: Sie müssen auf der Verlautbarungsebene sehr klarmachen, dass es im Unternehmen vorrangig um Zusammenarbeit geht – und nicht um die Addition von Einzelleistungen. Und Sie müssen das kommunizieren: immer wieder und überall.
    Zweitens: Die Prägekraft des institutionellen Rahmens auf das Verhalten der Menschen ist höher einzuschätzen als die Kraft der individuellen Psychodynamik. Der Mensch passt sich tendenziell schneller an die Umstände an, als dass er von seiner Herkunft gesteuert wird.
    In der Summe ist das eine Botschaft, die Sie optimistisch stimmen sollte, wenn Sie in Ihrem Unternehmen die Kräfte der Zusammenarbeit stärken wollen.
Konsequenz für die Personalauswahl
    Die Strategien des sogenannten »Talent-Management« gehen grosso modo von der Voraussetzung aus, dass Unternehmenserfolg sich aus Einzelleistungen addiert. Talent ist ja eine Eigenschaft des Einzelnen, mithin spricht man von »Leistungsträgern«, die auszuwählen und zu fördern seien. Unternehmen, so wird gesagt, seien außerdem nicht mehr mit »AAA« zu bewerten, sondern mit »RRR« – was für Recruiting, Retention, Retirement steht. Übersetzt heißt das: Es gehe darum, Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, und dies möglichst so lange, bis sie sich in den Ruhestand verabschieden. Das hat unter den Bedingungen knapper Personalmärkte zweifellos einen wahren Kern, ist aber insgesamt unterkomplex. Es ignoriert die Kontexte, die Wechselwirkungen, also das Passungsproblem. Indem es den Kooperationsvorrang ignoriert, fällt es letztlich in das alte personenzentrische Denken zurück.
    Unternehmen funktionieren nicht durch Addition, sondern durch Kombination. Durch die Kombination der richtigen Talente und Temperamente. Das ist eine komplexe Mischung aus Ehrgeiz und Unterordnung. Im Idealfall verbinden sich singuläre Egoismen zu einem temporären Gruppenwillen, bezogen auf einen Zweck. Was für den Fußball gilt, das

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