Radioactive -Die Verstossenen
goldenes Haar ist versteckt unter einer dunkelbraunen Kappe, die einen Schatten auf seine Augen wirft, sodass nur noch sein verkniffener Mund zu sehen ist. Ich erwarte einen bissigen Kommentar, doch stattdessen nimmt er sich wortlos eines der Messer und kniet sich neben mich auf den sandigen Boden. Er arbeitet nicht ganz so hektisch wie zuvor, sondern scheint sich bewusst meinem Tempo anzupassen. Unsere Arme neben einander bilden einen unübersehbaren Kontrast: während seine Haut von der Sonne gebräunt ist, leuchtet meine in hellem Weiß, dabei wirkt sie so dünn, dass an meinen Unterarmen die blauen Adern zu sehen sind. Während seine Hände von Schwielen harter Arbeit übersät sind, wirken meine so dünn und zerbrechlich wie aus Porzellan. Als sein nackter Arm zufällig den meinen streift, ist es , als würde Strom durch meinen Körper schießen. Seine Haut ist so angenehm warm, während meine Haut wie aus Eis erscheint. Kein Wunder, dass er mich für ein Monster hält und es mir ständig zum Vorwurf macht, dass ich anstelle von D523 hier bin. Ihre Haut ist genauso warm wie seine.
Während ich sonst so viel Distanz wie möglich zwischen uns bringe, sehne ich mich nun nach seiner Wärme. Obwohl die Sonne vom Himmel auf uns hinabknallt und der Schweiß sich wie ein Fluss über meinen Rücken schlängelt, ist mir plötzlich kalt. Wie zufällig berühre ich mit meinem Ellbogen Finns Unterarm. Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus und kitzelt mich in meinem Nacken. Es ist ein so angenehmes Gefühl, das ich noch nie zuvor in meinem Leben empfunden habe. Ich kannte Gänsehaut nur als Zeichen von Angst oder Ekel, aber nicht als etwas so Schönes . Am erstaunlichsten ist jedoch, dass Finn sich nicht gegen meine ‚zufälligen’ Berührungen wehrt, sondern sie einfach geschehen lässt, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Er schreckt weder zurück noch schreit er mich an. Bald arbeiten wir so dicht beieinander, dass mein Oberarm gegen seinen drückt. Zum ersten Mal kann ich seinen Geruch wahrnehmen. Zugegeben , er stinkt genauso säuerlich nach Schweiß wie wahrscheinlich jeder in dieser Hitze, aber auch irgendwie nach Regen. Genauso hat es im Wald gerochen, bevor auf meiner Flucht das Gewitter losbrach.
Ein spitzer Schmerz lässt mich aufkeuchen und zurückfahren. Blut tritt aus meiner Handfläche und tropft auf die Rhabarberstangen. Mir wird ganz flau im Magen. Zitternd blicke ich auf meine Hand, in deren Innenseite ein tiefer Schnitt zu sehen ist, aus dem das Blut hervor quellt. Ungeschickt falle ich auf meinen Hintern, während ich die Geräusche um mich herum kaum noch wahrnehme. Ein Rauschen tritt in meine Ohren und vor meinen Augen beginnt die Welt zu verschwimmen, während ich nur das Blut in meiner Handinnenfläche anstarren kann. Blut bedeutet Gefahr, die zu Krieg und zu Tod führen kann.
„Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wie blöd kann man eigentlich sein?“, höre ich Finn wie aus weiter Ferne schimpfen.
„Siehst du nicht, dass sie gleich zusammenbricht?!“, faucht Florance aufgebracht zurück.
Plötzlich werde ich vom Boden gehoben und die Welt beginnt sich um mich herum zu drehen.
Die zarten Klänge einer gezupften Gitarre dringen in mein Bewusstsein. Für einen Moment lausche ich ihnen einfach, während ich vor meinem inneren Auge Florance dabei lachen sehe. Sie sieht dabei immer besonders nett und fröhlich aus. Mit dem Gedanken an Florance kehrt meine Erinnerung an das ganze Blut in meiner Hand zurück. Besorgt reiße ich meine Augen auf und fahre hoch, nur um im nächsten Moment von dem Brennen in meinen Schläfen laut aufzustöhnen und die Augen wieder zuzukneifen.
„Oh je , genauso macht Pep auch immer am Morgen , nachdem er Gustav seinen Wein geklaut hat.“, grunzt Jep munter.
„Das nehme ich als Kompliment, denn du siehst am nächsten Morgen aus wie Gustav selbst.“, entgegnet Pep nicht weniger amüsiert.
Vorsichtig öffne ich ein Auge und spähe den Beiden entgegen. Während auf Peps Schoss die Gitarre liegt, mustert mich Jep neugierig, wobei ihm seine schwarzen Locken fast die Sicht versperren.
Langsam öffne ich auch mein zweites Auge und erkenne, dass ich mich in dem Höhlenzimmer von Iris und mir befinde.
Erneut beginnt Pep , an seiner Gitarre zu zupfen.
„Oh Schlafmützchen, jetzt bist du endlich wach
Hast die ganze Nacht wohl durchgemacht
Oh Schlafmützchen, jetzt schau mich nicht so an
Haben dir Finn doch nur vom Hals geschafft“ , trällert Jep spontan
Weitere Kostenlose Bücher