Rätsel des Nordens (Thenasia) (German Edition)
war während seiner
Abwesenheit zu zwei Reihen ausgebaut worden. Auch die Königshalle hatte nun
einen eigenen Wall. Ergon ließ seinen Blick über die Befestigungen schweifen
und inspizierte sie dabei genau. Abweisend ragten die Spitzen des äußeren
Ringes nach außen. Schutz gegen alltägliche Bedrohungen konnte in der Tat
gewährleistet werden, doch würde das Holz mit Sicherheit nicht dem Sturmangriff
eines gerüsteten Orkheeres standhalten können, sollten die Grünhäute von
Trollen unterstützt werden. Der Leutnant rieb sich die müden Augen und setzte
sich auf einem nahestehenden Schemel. Woher der alte Thormir von diesen
Ungetümen wohl wusste?
„Erschreckend, wovon der alles
eine Ahnung hat“, seufzte Ergon in die Nacht, in der nur in einiger Entfernung
die Stimmen der Wachen zu hören waren. Mit Grausen erinnerte er sich nun an den
Moment, als Seregon tapfer einem der Monster entgegengetreten war. Gut und
gerne zehn Fuß hoch war der Troll, dem die Klinge des Soldaten nichts anzuhaben
schien. Mit Gebrüll hatte sich diese riesenhafte Erscheinung auf den wackeren
Kundschafter gestürzt, sein Schwert zerbrochen und dessen Körper an einem
hervor ragenden Felsen zerschmettert. Nicht einmal sechsundzwanzig Jahre war er
alt geworden. Mit Speeren und Pfeilen konnten sie letztendlich Rache für
Seregon nehmen, wenngleich der Trollkörper an vielen Stellen hart wie Stein zu
sein schien.
Ergon übergoss sein Haupt einige
Male mit kaltem Wasser, um diese grausamen Gedanken zu vertreiben. Was um alles
in der Welt hatte der Kanzler sie im Norden suchen lassen? War es tatsächlich
lediglich das dumpfe, unbestimmte Gefühl einer wachsenden Bedrohung? Oder war
es ein wenig mehr? Meister Thormir war aufgrund seines mürrischen und
unnahbaren Verhaltens ohnehin sehr zwiespältig angesehen, zumindest bei den
jüngeren Soldaten. In der Taverne fantasierten vorhin einige von ihnen wild
daher. Der alte Magier würde den König kontrollieren und die Edelmänner verhexen,
hieß es. Ergon schüttelte den Kopf und seine nassen langen Haare wirbelten wie
wild durch die Luft. Der Kanzler mochte oft seltsam sein, aber alles in allem
war er eine vertauenserweckende Person, trotz der Tatsache, dass er einen
eigenen elitären Orden unterhielt. „Doch selbst dafür hatte er sich ja die
Erlaubnis des Tribunals eingeholt“, erinnerte sich der Leutnant. Ergons eigener
Vater Thergon hatte noch selbst zugestimmt. Viel wusste man allerdings nicht
von den Ordensjüngern. Vermutlich waren sie persönliche Kundschafter Thormirs,
die ihm von Zeit zu Zeit neue Informationen zutrugen. Aber der König als
Marionette des Kanzlers? Wo dieser immerhin von jenem erzogen worden war? Klang
dies glaubhaft?
„Genug der wilden
Spekulationen!“, befahl der Leutnant sich selbst. Die Zeiten wurden nun wieder
rauer, was die Menschen zu gegenseitigem Vertrauen zwang. Auch würde er selbst
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jede Minute des Schlafs
benötigen, die er bekommen konnte. Ergon legte sich sich erneut auf die karge
Pritsche und fiel erschöpft in einen tiefen und erholsamen Schlaf, der ihn die
Strapazen der Vergangenheit vergessen ließ.
In Thormirs Gemach brannte hingegen
noch Licht. Der Magier studierte seit einigen Stunden die Berichte, die ihm
über die Orks bekannt waren, obgleich ihre Zahl äußerst gering ausfiel, denn
dieses seltsame Volk im Norden war äußerst mangelhaft erforscht worden. Jedes
Dokument las er zweimal, jede Seite prüfte er von Neuem und jedes Wort unterzog
er einer eigenen Analyse. Doch es brachte dem Kanzler nichts, da er die Inhalte
bereits kannte. Selbst die neu entdeckte Tatsache, dass die Orks durch Ambalus
aggressiv zu werden schienen, war alles andere als erhellend. Wie sollte
Thormir seinem letzten Gefangenen dessen Geheimnisse entlocken? Von dem Einsatz
physischer Gewalt hielt der Kanzler nichts und Blitz und Feuer waren für die
Zwecke des Erkenntnisgewinns ebenfalls nicht sonderlich brauchbar. Den
verbleibenden Ork müsste er wohl anders befragen.
„Die Peitsche hilft tatsächlich
nur selten“, dachte er. „Ich muss irgendwie das Vertrauen dieser Grünhaut
gewinnen, um an sein Innerstes zu gelangen.“ Lange saß er noch in dieser Nacht,
bevor er einen passablen Plan geschustert hatte, mit welchem er den Gefangenen
an sich „gewöhnen“ wollte. Es sollten weiterhin einige Vollmonde vergehen, bis
der Kanzler die Informationen bekam, auf die er so lange gewartet hatte.
In dieser Zeit
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