Rätsel um die alte Villa
spreche von Waffen“, wurde
er von Karl belehrt, „nicht von Kinderkram. Aber weißt du zum Beispiel, daß im
16. Jahrhundert jeder Mann ganz selbstverständlich eine Waffe trug — sogar der
Bauer seinen Dolch. Und daß Degen und Dolch — bei den höheren Standespersonen —
regelrecht zur Mode gehörten. Was den Frauen der Schmuck war, war den Männern
die Blankwaffe.“
„Man sollte Waffen insgesamt
abschaffen“, meinte Tarzan. „Dann gäbe es weniger Kriege; und selbst die wären
ziemlich unblutig. Wenn alle nur mit den Fäusten aufeinander losgingen, gäb’s
nur blaue Augen und Flecke.“
„Ich wäre sofort dafür“, ließ
sich Gaby vernehmen. Sie fütterte Oskar gerade mit einem Butterbrot. „Wer in
Judo so gut ist wie du, hätte natürlich selbst dann große Vorteile. He, hörst
du mir zu?“
„Ja, natürlich“, sagte Tarzan.
Aber das klang etwas lahm, obwohl er wußte, daß Gaby fuchsteufelswild werden
konnte, wenn man ihr nicht richtig zuhörte.
Im allgemeinen war Tarzan auch
ganz Ohr, wenn sie redete. Aber eben hatte er eine Beobachtung gemacht, die ihn
wie ein elektrischer Stromschlag durchfuhr.
Er saß mit dem Rücken zur
Villa. Dichte Büsche verstellten die Sicht zur Straße. Aber an einer Stelle
waren Äste geknickt. Durch die schmale Lücke konnte er sehen — zur Straße und
zu dem kleinen Park auf der anderen Seite.
Dort quakten wieder die Frösche
beim Tümpel. Mückenschwärme tanzten über den Büschen. Und zwischen zwei Buchen,
hinter einer Bank, stand ein Mann.
Vor einer Stunde bereits hatte
Tarzan ihn bemerkt. Da war der Kerl die Lindenhofallee hinunter gegangen und
bei dem Fahrer des Möbeltransporters stehengeblieben, als der am Torpfeiler
lehnte und eine Zigarette rauchte. Sie hatten ein paar Worte miteinander
gewechselt. Tarzan konnte aber nicht länger darauf achten, weil er in diesem
Moment eine schwere Kiste ins Haus tragen mußte.
Jetzt stand derselbe Mann dort
drüben, fühlte sich unbeobachtet, starrte herüber, trat nach rechts und nach
links und schirmte mit der Hand die Augen ab.
Er war mittelgroß und in
mittleren Jahren, trug einen schlechtsitzenden Anzug, keine Krawatte, hatte ein
Geiergesicht und schwarzes Haar, das sich über der Stirn schon zur Halbglatze
lichtete. Zum Ausgleich hing es ihm ziemlich lang in den Nacken. Die Augen
versteckte er hinter einer eckigen Sonnenbrille. Seine Haltung drückte Spannung
aus. Er sah aus, als wäre mit ihm nicht gut Kirschen essen, als hätte er zwar
keine Duell-Pistole unter der Jacke, aber zumindest ein gefährliches
Springmesser in der Hosentasche.
Was will der? überlegte Tarzan.
Nochmal einbrechen? Ist er einer der beiden? Und wo bleibt der andere?
„Du hörst mir nicht zu“, sagte
Gaby. „Das sehe ich doch an deinem stieren Blick. Was hast du entdeckt? Einen
Zaunkönig? Oder eine Blattlaus?“
„Ein Nilpferd“, lachte Tarzan.
„Es kommt gleich um die Ecke, um dir die Pfote zu geben, Pfote. Dann mußt du
aber mit beiden Händen zugreifen.“
Er stand auf. „Bin gleich
wieder da. Willi, hör’ auf zu essen. Sonst hast du soviel an deinem Bauch zu
schleppen, daß andere Lasten für dich nicht mehr in Frage kommen.“
Tarzan schlenderte zum Eingang.
Zwei der Möbelpacker trugen gerade einen Schreibtisch ins Haus. Tarzan bog um
die Ecke. Kaum war er auf der Rückseite des Hauses, spurtete er zur anderen
Seite des Grundstücks, bahnte sich einen Weg durch die Büsche, erreichte den
Zaun, flankte hinüber — auf eine kaum meterbreite Gasse, rannte, geduckt hinter
Büschen, zur Straße vor und kauerte sich hinter die Ecke.
Er hatte einen Bogen
geschlagen. Von hinten wollte er sich an den Mann heranpirschen, ihn aus der
Nähe beobachten, feststellen, was der im Schilde führte.
Eigentlich müßte ich ihn sehen,
dachte er. Dort war er doch eben noch. Aber jetzt ist er verschwunden.
Tarzan richtete sich auf und
trat auf die Straße.
Der Asphalt schmorte in der
Sonne. Der Staub und die Büsche rochen angenehm nach Sommer. Mittagsstille
breitete sich aus. Niemand war zu sehen. Nur weit hinten, fast am Ende,
vergnügte sich ein kleiner Junge mit seinem Skateboard. Er fiel hin, stand aber
sofort wieder auf.
Mit dem Wagen ist er nicht
abgehauen, dachte Tarzan. Klar, der war ja auch geklaut. Sicherlich haben sie
ihn irgendwo zurückgelassen.
Tarzan überquerte die Straße,
lief in den Park, suchte die Wege ab, geriet auf die andere Seite und —
entdeckte Geiergesicht.
Hinter dem Park verlief eine
Straße.
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