Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
unter ökologisch sinnvollen und menschenfreundlichen Bedingungen produziert worden waren. Merkwürdig fand Anne die Bestellung von vier Bandschlingen, eines Karabinersatzes und des Akkordeons. Da das sonstige Verhalten der Anonymous Bankräuber ihr aber auch seltsam vorkam, zerbrach sie sich darüber nicht weiter den Kopf.
Zudem ließen sich die Bankräuber auch wieder Essen bringen. In dieser Hinsicht hatte man es als Bankräuber des einundzwanzigsten Jahrhunderts bequemer als früher. Denn letztlich konnten die Geiselnehmer sich dank des von der Polizei bereitgestellten Smartphones mühelos selbst versorgen. Im Internet bekam man heutzutage ja praktisch alles. Beim Hereinholen der gelieferten Gegenstände blieben die Geiselnehmer ihrer Strategie treu, die Putzfrau Irene Heigelmoser als menschliches Schutzschild zu verwenden.
Dann rührte sich in der Bank den gesamten Vormittag über nichts mehr. »Das wundert mich nicht«, meinte Kurt Nonnenmacher wütend, als Anne ihn bei seiner Ankunft an der Bank über die plötzliche Funkstille unterrichtete. »Das ist ja wie Weihnachten, Namenstag und Geburtstag zusammen, was da an Geschenken angeliefert wird. Die werden halt den ganzen Vormittag Sachen auspacken. Eine Sauerei ist das, sich derart zu bereichern, eine unbandige Sauerei!« Er wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. »Man kann bloß hoffen, dass das ganze Gelump, was da zusammenbestellt wird, auch von der Bank bezahlt werden muss und nicht vom Steuerzahler! Ich habe keine Lust, dass sich Verbrecher mit meinem Geld aufbrezeln, als wären’s der Schah von Persien. Aber ich habe es ja auch schon immer gesagt, dass es ein Fehler war, die europäischen Grenzen zu öffnen. Jetzt haben wir den Salat. Und das ganze Gesindel im Land. Und die Frage ist jetzt folgende: Wie bringen wir es wieder hinaus?« Er machte eine rhetorische Pause, bevor er fortfuhr. »Gar nicht.« Dann nickte er bedeutungsschwanger.
»Aber dieses Mädchen ist doch aus Ostfriesland«, wagte Anne einzuwenden.
»Ja, sag ich ja!«, blaffte Nonnenmacher sie an. »Ausland!«
Anne schüttelte missbilligend den Kopf. »Da reden Sie jetzt ja mal so richtigen Blödsinn.«
»Sie, Frau Loop!«, warnte der Dienststellenleiter mit erhobenem Zeigefinger und hochgezogenen Augenbrauen.
»Egal«, unterband Anne Loop weitere europakritische Ausführungen und meinte stattdessen: »Haben Sie eigentlich schon eine Fahndung herausgegeben?«
»Inwiefern?«, fragte Nonnenmacher verständnislos.
»Na ja, es wäre doch interessant zu wissen, wer diese beiden Geiselnehmer sind, oder? Da wäre es doch sinnvoll, aus dem Videoblog zwei Fahndungsbilder zu generieren und als Blue Notice in die Interpol-Fahndung zu geben, meinen Sie nicht?«
»Blue Notice?«, fragte Nonnenmacher gereizt. »Sprechen Sie deutsch! Mir sind hier in Bayern.«
»Sie wissen nicht, was Blue Notice ist?« Anne war nun wirklich überrascht. Ihre Stimme nahm einen beinahe mütterlichen Tonfall an, als sie erklärte: »Im Interpol-Fahndungssystem gibt es doch sieben Kategorien …«
»Ach so, ja, ja, das meinen Sie …«, erwiderte Nonnenmacher eilfertig, obwohl es auf Anne so wirkte, als hätte er nicht den blassesten Schimmer, wovon sie sprach.
»Und eine Blue Notice ist eine Interpol-Mitteilung der …«
»… zweithöchsten Priorität«, beendete Sepp Kastner, der unbemerkt von hinten an die beiden herangetreten war, ihren Satz und ergänzte: »Definition: ›Sammlung von zusätzlichen Informationen über die Identität oder Aktivitäten einer Person in Bezug auf ein Verbrechen.‹«
»Ja, klar, ja, sowieso«, stammelte Nonnenmacher. »Das weiß ich auch.« Natürlich wusste er es nicht, war es an dem idyllischen See inmitten von Bergen doch selten nötig, jemanden per Interpol zu suchen. Wurde ein Mensch vermisst, genügte es in den meisten Fällen, wenn man die wichtigsten Wirte der fünf Seegemeinden, im Sommer die Schwimmbäder und Golfplätze und im Winter die Skilifte abtelefonierte. »Also, gehen wir an Interpol damit?«
»Das wäre meiner Meinung nach schon sinnvoll«, meinte Kastner. »Damit wir wissen, mit wem wir es da überhaupts zu tun haben. Ein Täterprofil tät’ da nichts schaden.«
»Ja, aber dann gibt es ja einen Riesenaufruhr!«, brachte Nonnenmacher hervor. »Und das ist ganz sicher nicht im Sinne unseres Bürgermeisters und schon gar nicht von der Tourismusbehörde.«
Doch dann erledigte sich erst einmal jedes weitere Nachdenken darüber, ob man eine
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