Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
schimpfte, dann war es wieder still.
Vorsichtig setzte Anne sich auf. Ihre Arme waren bandagiert. Und als sie die Decke zurückschlug, sah sie, dass auch ihr rechter Oberschenkel von oberhalb des Knies bis unterhalb ihres Slips dick verbunden war. Aber ihr tat nichts weh. Konnte sie aufstehen?
Vorsichtig drehte sie sich zur Seite und ließ die Beine vom Bett rutschen. Kein Schmerz. Behutsam stellte sie die Füße auf den Boden und stand auf. Oh doch, da tat es weh, im bandagierten Bein. Aber … Anne verlagerte ihr Gewicht auf das andere Bein. Es schmerzte, doch es ging. Sie humpelte zum Schrank und öffnete ihn. Leer. Wo waren ihre Kleider?
Der Taxifahrer vor der Klinik staunte nicht schlecht, als er sah, wer da bei ihm an die Fensterscheibe der Fahrertür klopfte: Die Frau war jung und schön, aber sie hatte nichts an außer einem Slip und einem grünen Operationshemd.
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht eher da rein gehören?«, fragte der Fahrer, er sah ein bisschen aus wie George Clooney, und deutete Richtung Klinikgebäude.
Doch Anne, die mittlerweile auf der Rückbank Platz genommen hatte, schüttelte den Kopf, so eifrig, wie ein Kind, und sagte: »Nein. Ich habe eine Tochter. Lisa. Die braucht mich.«
»Soso«, meinte der Fahrer nur und gab Gas.
Als Anne vor ihrem Haus in der Schwaighofstraße ausstieg, spürte sie die verwunderten Blicke der alten Frau Schimmler, die gerade ihre Einkäufe vom Supermarkt nach Hause schleppte. Anne rief ihr ein lässiges »Hi« zu, als wäre es das Normalste der Welt, im OP-Hemd durch ein Alpendorf zu humpeln. Dann öffnete sie schnell das Gartentürchen.
Im Hausinneren angekommen ging sie als Erstes zum Telefon. »Hallo, Emilie, hier ist die Anne. Gibst du mir mal die Lisa?« Während Anne wartete, sah sie das erste Mal, seit sie aufgewacht war, in den Spiegel, und erschrak: Große Teile ihres Gesichts waren mit Pflastern verklebt, sie sah fast aus wie eine Mumie. Es war also gar nicht die Haut gewesen, die so gespannt hatte!
Dann war ihre Tochter am Telefon. »Hallo, Lisa. Ich bin wieder zu Hause. Alles okay bei dir? … Ja, bei mir auch … Ja, natürlich, du bekommst das gleiche Kleid wie Emilie … Vielleicht nächste Woche? … Gut. Nein … Ich hole dich heute Abend ab … Ach, du willst nicht? … Ach so, ich habe dich erst gestern hingebracht … Mensch, ich habe völlig das Zeitgefühl verloren. Ja, klar, du willst noch eine Nacht bleiben. Okay. Ja, gut, dann … Ich hole dich morgen … Ja, spielt nur weiter. Tschüss, Fee.«
Anne war verwirrt. Wie lange war sie ohnmächtig gewesen? Nur einige Stunden? Sie gähnte. Warum war sie nur so entsetzlich müde?
Sie legte sich aufs Sofa und fiel sofort in tiefen Schlaf. Sie träumte davon, wie sie mit Lisa im See tauchte. Beide sahen sie aus wie Meerjungfrauen, ihre langen Haare schwebten Nebelschwaden gleich durchs Wasser. Sie tauchten an Fischen vorbei immer tiefer und tiefer. Doch die Umgebung wurde nicht dunkler, sondern heller. Auf dem Seegrund entdeckten sie plötzlich einen Mann. Er war barfuß, trug aber einen Anzug. Das muss Johann sein, dachte Anne. »Das ist Johann«, sagte sie zu Lisa. Doch aus ihrem Mund kamen nur Luftblasen. Ehe Anne es verhindern konnte, schwamm Lisa zu dem Mann, ergriff seine Schulter und drehte ihn auf den Rücken. Dann erschraken beide, denn ihnen starrte eine Maske entgegen. Es war die weiße Maske der Anonymous-Bewegung, mit dem markanten Kinn- und Schnurrbart und den deutlich gezeichneten Augenbrauen. Dann ertönte plötzlich ein schrilles Klingeln.
Anne erwachte. Sie war keine Meerjungfrau. Sie war verletzt und lag auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer. Und es war jemand an der Haustür. Benommen stand sie auf und humpelte hin.
» Da bist du!«, schrie Sepp Kastner, als Anne die Tür öffnete. Kurt Nonnenmacher stand neben ihm. »Bist du denn wahnsinnig? Aus dem Krankenhaus abhauen! Mir suchen dich überall! Mir haben gedacht, man hat dich entführt!« Er holte kurz Luft. Dann sagte er keuchend: »Scheiße, hab ich mir Sorgen gemacht.«
»Sie hätten schon etwas sagen können«, meinte Nonnenmacher ruhiger. »Mir haben uns Sorgen gemacht.«
»Ich …« Anne gähnte verlegen. »Ach, kommt rein.«
»Wie geht’s dir? Wie bist du hierhergekommen? Was hast du dir denn nur dabei gedacht?«
Ohne eine der Fragen zu beantworten, humpelte Anne zurück zum Sofa und ließ sich in die Polster fallen. Die beiden Männer folgten ihr und nahmen ihr gegenüber Platz. Dann sahen sie die
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