Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
gefressen?«, zischte eine vertraute Stimme, während er hochgehoben wurde. Kush spürte, dass er in der Luft schwebte.
»Naburo!«, sagte er keuchend.
»Still!« Der Elf hatte ihn auf einen Ginkgobaum gezogen. Noch war das goldgelbe Blätterwerk dicht und verbarg die Gefährten – zumal Naburo einen Zauber wirkte, der sie tarnte.
Unter ihnen ging der Mann im Anzug frustriert zwischen den Fußgängern hin und her, die ihn verwundert ansahen. Als ein Mädchen auf ihn zustürzte und ein Autogramm forderte, trat der Magier den Rückzug an.
»Komm!«, flüsterte Naburo. »Wir müssen uns beeilen, bevor er Verstärkung schickt.«
Er wirkte einen leichten Zauber, der Kushs Erstarrungen löste. Dann ließ er sich mit dem Shishi im Arm vom Baum gleiten. Kush bewunderte ihn für seine Kunst, fliegen zu können. Wie er wusste, kostete es den Falkenkrieger seit dem Einzug der Zeit in der Anderswelt mehr Kraft als früher. Nur sehr wenige menschenähnliche Elfen in Bóya verfügten über diese seltene Gabe.
Mit peitschendem Löwenschwanz tapste er hinter Naburo her, zurück zu Nadja, Torio und Chiyo, die gegenüber im Restaurant auf sie warteten.
Nadja stand unter dem Ginkgobaum, auf den Naburo und Kush sich gerettet hatten, und betrachtete das Theater vor sich, das in der Dunkelheit der anbrechenden Nacht lag. Aus den Fenstern drang Licht, und wie aus weiter Ferne hörte man die düsteren Gesänge des Chors. Sofort musste Nadja an ihre Vision vom Vortag denken, von David und dem Getreuen. Ein Frösteln überlief sie. Sie atmete tief ein. Es kostete sie Mühe, nicht davonzurennen. Obwohl noch einige Menschen auf der Straße in Richtung U-Bahn-Station unterwegs waren und das asiatische Restaurant auf der anderen Straßenseite gut besucht war, fühlte sie sich einsam und bedroht. Wie ein Ungeheuer ragte das Theater vor ihr auf. Das einladende Licht erinnerte an einen Köder, der sie ins Verderben reißen sollte.
Ich muss es wissen
. Nadja riss sich zusammen und ging auf das Gebäude zu. Sie eilte die Treppen hinauf, sah dabei auf die Uhr ihres Handys. Das Timing stimmte. In diesem Moment begann die Pause, und einige Besucher – besonders ältere Männer und Frauen – verließen kopfschüttelnd und mit wüsten Beleidigungen das Gebäude. Was sie auf Japanisch sagten, konnte Nadja nicht genau verstehen, auch wenn ihr elfisches Gehör inzwischen feiner war als jemals zuvor. Aber sie war sich sicher, dass die Beschwerden zulasten der vermeintlich schlechten Vorstellung gingen. Von sonderbaren Vorfällen berichtete dagegen niemand.
Hier wirken mächtige Zauber. Will ich wirklich dort hinein?
Ihre Finger berührten das Cairdeas an ihrem Handgelenk. Kush hatte berichtet, er habe Elfen gewittert.
Andere Elfen
. Welche, die nicht aus Bóya stammten.
Das können nur David und Rian sein!
Wegen der starken Schutzzauber hatte Naburo davon abgeraten, dass die Elfen sich dem Theater auf verbotenem Wege näherten, doch Nadja blieb fest entschlossen, mehr herauszufinden. Sie drängte sich den Menschen entgegen, die das Theater verließen, und schlich sich an zwei Aufpassern vorbei in den Zuschauerraum. Dort ging sie in Richtung des universal verständlichen Schildes der Toiletten – es bildete eine Frau und einen Mann in traditioneller japanischer Gewandung ab.
Sie kam durch eine Seitentür des Hauptraumes, einen langen Gang hinunter. Wie sie erhofft hatte, gab es in diesem Gang noch weitere Türen. Allein drei davon befanden sich vor den Toiletten. Kurz hinter ihnen zweigte ein Gang ab und führte in Richtung des Gebäudetraktes, der vom Theater abging.
Dort hat der Shishi sie gewittert
. Nadja drängte sich an einer Reihe wartender Frauen vorbei, die für die Toilette anstanden, und tauchte wie selbstverständlich in den Gang ein, der vom Theatersaal fortführte. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Sie hatte die Elfen nicht mitnehmen können, weil Kush von magischen Barrieren sprach, die besonders Elfen durchschauten. Als Mischblut war Nadja weit weniger gefährdet; dennoch hatte sie Angst davor, entdeckt und erkannt zu werden. Was würde Cagliostro mit ihr anstellen, wenn er sie in seine Gewalt bekam?
Mit zitternden Fingern berührte sie den Anhänger um ihren Hals. Konnte dieser winzige Stein aus dem göttlichen Baum sie wirklich vor Entdeckung schützen?
Lass mich sehen, Tenna, was dein Geschenk wert ist
.
Sie blickte zurück und sah aus den Augenwinkeln einen hochgewachsenen Mann mit japanischen Gesichtszügen, der in
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