Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
bei ihm untergehakt hatte. Die Straßen waren mit geschäftigen Menschen erfüllt. So kamen sie an prächtigen Gebäuden aus schwarzem, mit silbernen Adern durchzogenem Stein vorbei. An den wichtigen Kreuzungen tanzte und sprang das Wasser in Brunnen und spielte eine sich stets wandelnde, doch immer wohlklingende Melodie. Die Musik und die Gerüche des Marktes trieben zu ihnen herüber. Vielleicht wollte Alise dorthin. Ihm war es gleich, ob sie Seide, Gewürze oder am Spieß gebratenes Fleisch kauften oder ob der Korb eine Decke und etwas zu essen enthielt, um am Ufer ein Picknick zu machen. Sie waren zusammen hier. Ihre Stimme klang süß in seinen Ohren, ihre Hand lag warm auf seinem Arm, und alles war gut. Alles war gut in Kelsingra.
Als er aufwachte, herrschten Stille und Finsternis. Die Wärme und das Gefühl von Sicherheit, die er in seinem Traum empfunden hatte, waren verschwunden. Sein Herz sehnte sich danach zurück. Die wache Welt fühlte sich selten so gut an. »Kelsingra«, flüsterte er in die Dunkelheit, und für einen Moment teilte er die Gewissheit der Drachen, dass alles gut werden würde, wenn sie nur erst diese sagenhafte Stadt erreichten. Aber war das überhaupt eine Möglichkeit? In seinem Traum war die Stadt bevölkert und voller Leben gewesen. Er und Alise waren dort zu Hause gewesen, sie hatten gemeinsam in jener Stadt gelebt, in der sie niemand voneinander trennen konnte. Das, so kam ihm die Gewissheit, war der Gegenstand von Träumen.
Ein Geräusch an der Tür, leiser als das Schaben einer Katze, drang zu ihm. »Grigsby?«, fragte er erstaunt.
»Nein«, sagte sie. Das spärliche Licht, das durchs Fenster hereinfiel, fing sich in ihrem weißen Nachthemd, als sie die Tür öffnete. Er hielt den Atem an. Sie schloss die Tür so leise, dass sein pochendes Herz deutlicher zu hören war. Ohne einen Laut huschte sie zu seinem Bett, wo er regungslos lag. Er schien wieder zu träumen und hatte Angst, bei einer Bewegung zu erwachen. Sie setzte sich nicht auf den Rand des Betts. Stattdessen hob sie die Decke an und schlüpfte darunter. Wie von selbst legte sich sein Arm um sie. Sie setzte die eisigen Fußsohlen auf seine Knöchel. Ihre Brüste berührten seine Brust, ihr weicher Bauch an seinem, so lag sie ihm gegenüber.
»Das ist schön«, murmelte er. »Ist das ein Traum?«
»Vielleicht«, sagte sie, und er spürte ihren Atem im Gesicht. Es war ein herrliches Gefühl, zärtlich und gleichzeitig erregend. »Ich ging mit dir durch Kelsingra. Und plötzlich wusste ich, dass alles gut werden würde, wenn wir dort ankämen. Und wenn alles gut wird, dann ist es jetzt schon gut. Zumindest für mich.«
Ihn erfüllte eine eigenartige innere Ruhe. Er tastete nach diesem Gefühl, kostete es aus. Ja, auch für ihn war das so. »Wir gingen durch Kelsingra. Du hattest einen Korb am Arm. Sind wir einkaufen gegangen oder zu einem Picknick?«
Ein angespanntes Schaudern durchlief sie, und sie sagte direkt neben seinem Mund: »Der Korb war schwer. Es war frisches Brot, eine Flasche Wein und ein Topf mit weichem Käse darin.« Sie holte eilig Luft. »Mir gefiel, wie du den Hut getragen hast.«
»Nach hinten geschoben, damit ich die Sonne im Gesicht spüre.«
»Ja.« Wieder bebte sie, und er zog sie zu sich heran. Er glaubte nicht, dass sie sich je näher sein konnten als jetzt. »Wie können wir denselben Traum träumen?«
»Wieso nicht?«, gab er ohne nachzudenken zurück. Dann holte er Luft und fügte hinzu: »Mein Schiff mag dich. Du weißt, dass Teermann ein Lebensschiff ist, nicht wahr?«
»Natürlich, aber …«
Er ließ sie nicht ausreden. »Keine Gallionsfigur, ich weiß. Aber dennoch ein Lebensschiff.« Er seufzte und spürte, wie sein Atem den Zwischenraum zwischen ihren Gesichtern wärmte. »Ein Lebensschiff ist mit seiner eigenen Familie sehr vertraut. Darüber weißt du ja sicher Bescheid. Teermann kann zwar nicht sprechen, aber er hat dennoch Wege, sich uns mitzuteilen.«
Eine Zeit lang gab sie keine Antwort. Sie drückte ihren Leib gegen seinen. Auch sie hatte Wege, sich mitzuteilen. Dann fragte sie: »Als ich das erste Mal von Kelsingra geträumt habe, als ich im Flug darauf hinabgesehen habe – war das ein Drachentraum von Teermann ?«
»Das kann nur er mit Bestimmtheit sagen. Aber ich vermute, dass es so war.«
»Er erinnert sich an Kelsingra. Er hat mir Dinge gezeigt, die ich mir nicht hätte ausdenken können, aber sie passten ganz und gar zu dem, was ich über die Stadt weiß. Und
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