Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
gezeichnet. Er erinnerte sie weder an einen Drachen noch an eine Eidechse, sondern an eine Schlange. Seine Nase war flach und eingedrückt, sodass seine Nasenlöcher wie Schlitze wirkten. Zudem lagen seine Augen so weit auseinander, als wollten sie ihm lieber seitlich am Kopf sitzen. Stets hatte Alise sich gerühmt, die Menschen nicht nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Aber wenn sie Jess ansah, fühlte sie sich unbehaglich, und sie brachte es nicht über sich, sich mit ihm zu unterhalten.
Deshalb ließ sie ihre Gespräche in seiner Gegenwart um Allgemeinplätze und belanglose Themen kreisen. Vergnügt sagte sie: »Nun, Sedric scheint es heute ein bisschen besser zu gehen. Ich habe ihn gefragt, ob er in einem der kleinen Boote nach Cassarick zurückzukehren wünscht, aber er meinte, dass er das nicht will. Ich glaube, ihm ist die Reise mit den drohenden Herbstregen zu gefährlich.«
Leftrin sah zu ihr auf. »Dann werdet ihr beiden die Expedition fortsetzen, ganz gleich, wie lange sie dauert?« In seinem Ton schwangen hundert andere Fragen mit, und sie versuchte, sie alle zu beantworten.
»Ich glaube schon. Ich möchte sie jedenfalls bis zum Ende miterleben.«
Jess lachte. Er stand an den Rahmen der Küchentür gelehnt und sah offenbar auf den Fluss hinaus. Doch er wandte sich nicht um und verzichtete auf jeden weiteren Kommentar. Alise suchte Leftrins Blick. Doch als sich ihre Blicke trafen, zeigte der Kapitän keinerlei Reaktion auf das seltsame Verhalten des Mannes. Vielleicht war sie auch überempfindlich. Sie wechselte das Gesprächsthema.
»Wisst Ihr, bevor ich hierherkam, habe ich nie wirklich verstanden, mit was es die Regenwildleute zu tun haben, die versuchen, hier Siedlungen zu bauen. Ich habe wohl angenommen, dass sie irgendwo in diesem gewaltigen Tal trockenen Grund finden würden. Aber den gibt es nicht, stimmt’s?«
»Moor, Sumpf und Wasserlöcher«, bestätigte Leftrin. »Soweit ich weiß gibt es auf der Welt keinen vergleichbaren Ort. Es existieren ein paar alte Karten aus der Zeit, als die ersten Siedler hierherkamen. Sie haben versucht, die Gegend zu erforschen. Einige verzeichnen weiter flussaufwärts einen riesigen See, der so groß sein soll, dass er den ganzen Horizont ausfüllt. Andere kartografierten Hunderte Zuflüsse des Regenwildflusses, manche groß, manche klein. Doch sie wechseln ständig ihren Lauf. In einem Jahr vereinigen sich zwei Flüsse zu einem, und im nächsten Jahr fließt ein einziger Strom, wo sich früher drei in den Hauptfluss ergossen haben. Und zwei Jahre darauf ist an derselben Stelle gar kein Fluss mehr, sondern nur noch Sumpf.
Manchmal wirkt der Waldboden fest, und Siedler glaubten schon, sie hätten eine trockene Stelle gefunden und versuchten, darauf zu bauen. Doch je mehr Füße darüber hinweggehen, desto schneller gibt der scheinbar trockene Grund nach. Bald bricht das Grundwasser durch, und von da an versumpft das Land ziemlich schnell.«
»Aber glaubt Ihr, dass es stromaufwärts eine Gegend mit wirklich trockenem Grund gibt, wo die Drachen sich niederlassen können?«
»Das weiß ich genauso wenig wie Ihr. Aber ich glaube, dass es das geben muss. Wasser fließt bergab, und das ganze Wasser muss von irgendwo kommen. Fraglich ist nur, ob wir so weit fahren können oder ob sich alles in Morast verwandelt, bevor wir dorthin gelangen. Vermutlich sind wir inzwischen so weit flussaufwärts gefahren, wie je ein Schiff gekommen ist. Teermann fährt auch dort noch, wo kein anderes Schiff mehr schwimmt. Aber wenn wir an eine Stelle gelangen, die selbst für Teermann zu flach ist, dann hat unsere Reise ein Ende.«
»Nun, ich hoffe, wir finden für heute einen besseren Lagerplatz. Thymara meinte, dass sie sich Sorgen um die Füße und Klauen der Drachen macht. Es tut ihnen nicht gut, dass sie ständig im Wasser sind. Eine von Sintaras Klauen ist anscheinend aufgerissen, und Thymara musste sie abschneiden und verbinden. Anscheinend hat sie Teer darauf geschmiert. Vielleicht sollten wir das bei allen Drachenpranken machen, um weiteren Schaden zu vermeiden.«
Leftrin verzog bei dem Gedanken das Gesicht. »Ich habe nicht genug Teer übrig. Wir müssen hoffen, dass wir heute Abend einen trockeneren Lagerplatz finden.«
»Wir sollten ihnen die Klauen schneiden«, meldete sich Jess auf einmal und drängte sich gleichermaßen in den Raum wie ins Gespräch. Er zerrte die Bank am Kopfende unter dem Tisch hervor und setzte sich schwerfällig hin. »Denkt darüber nach,
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