Rampensau
plötzlich zurück.
Dörthe starrte Carlo wütend an. »Ach, lass mich doch in Ruhe!«, zischte sie. Dann ließ sie ihn stehen, öffnete das Gatter und stapfte mit schweren Schritten über die Wiese.
Kim sah, dass sie Tränen in den Augen hatte, und eilte mit einem Trost spendenden Grunzer auf sie zu, doch Dörthe beachtete sie gar nicht, sondern blickte starr vor sich hin.
10
Kim schaute Dörthe nach, wie sie weinend über die Wiese lief, und hätte ihr am liebsten ein paar Dinge nachgerufen: Hör bitte auf zu weinen! Michelfelder ist ein Idiot – um diesen Widerling ist es nicht schade, und Carlo … mit Carlo stimmt auch so einiges nicht. Ich könnte dir eine Stelle im Wald zeigen, da hat er etwas vergraben, einen Koffer mit Geld – eine Menge Geld schätzungsweise.
Aber leider hätte Dörthe nicht auf sie gehört. Menschen und Schweine verstanden sich einfach nicht gut genug. Vielleicht hatte Che doch recht – eine Zeichensprache wäre in gewissen Situationen überaus hilfreich.
Dörthe verschwand im Stall, und dann tat sie etwas, das Kim bei ihr noch nie gesehen hatte. Sie kletterte in den Kirschbaum im Obstgarten und blieb oben, fast unsichtbar in den Ästen sitzen.
Bertie trabte zu Kim herüber. Er gähnte ausgiebig. »Sie ist nett«, sagte er und deutete zu dem Baum hinüber, in dem Dörthe hockte. Nun redete sie vor sich hin – oder sie sprach in den Apparat hinein, den offenbar alle Menschen besaßen. »Aber sie macht sich zu viele Gedanken – man muss die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Hat auch meine liebe Mutter schon gesagt.«
»Deine Mutter muss ja ein kluges Wollschwein gewesen sein«, erwiderte Kim.
»O ja.« Bertie baute sich vor ihr auf. »Das war sie – von ihr habe ich alles gelernt, was ich weiß. Höflichkeit etwa ist so ziemlich das Wichtigste. So sollte man nicht immer der Erste am Futtertrog sein wollen. Aber da fällt mir ein: Ich habe ein richtiges Loch im Bauch und muss dringend etwas fressen, wenn mir nicht schlecht werden soll.« Er blickte sich um und hoppelte in Richtung Stall davon.
Kim verdrehte die Augen. Sollte sie ihm bei nächster Gelegenheit sagen, dass er wegen seiner Höflichkeit und anderer Vergehen bald Prügel von Che und Brunst beziehen würde?
Plötzlich tauchte auch Swara wieder auf, die irgendwo beim Gemüsegarten ihr rotes Zelt aufgeschlagen hatte, aber so, dass man es nicht sehen konnte. Sie hatte Dörthes kurzen, handfesten Streit mit Carlo genau verfolgt. Sie lief zu dem Baum und klopfte an den Stamm, als wäre er eine Tür.
»Darf ich?«, rief sie dann in die Blätter hinauf.
Als Dörthe nicht sofort antwortete, schwang sie sich geschickt an dem ersten tief hängenden Ast hinauf.
Wenig später saßen die beiden Frauen einträchtig nebeneinander im Baum und redeten miteinander. Dörthe lachte sogar schon wieder. Kim glaubte die Worte »Michelfelder«, »Kind« und »Scheißkerl« zu vernehmen. Hinter dem Stall begann die Sonne unterzugehen. Es war noch immer Sommer, doch allmählich wurden die Tage kürzer.
Doktor Pik kam zu ihr. »Ich fürchte, du musst auf den Kleinen aufpassen«, erklärte er mit Blick auf das Wollschwein. Bertie hatte sich von Cecile unter ihren Apfelbaum locken lassen. »Er ist zu gut für diese Welt.«
Kim nickte mit einem Stöhnen. »Ja, du hast recht. Che ist ziemlich wütend auf ihn. Lange wird das vermutlich nicht mehr gut gehen.«
»Es gibt aber noch etwas, das mir Sorgen bereitet.« Doktor Pik wandte den Kopf. »Die beiden Kerle da … hocken schon eine ganze Weile zwischen den Bäumen und beobachten das Haus.«
Kim kniff die Augen zusammen und folgte seinem Blick. Irgendwo in dem Wald neben der Auffahrt, da, wo Carlo den toten Schwan begraben hatte, hatte Doktor Pik anscheinend etwas entdeckt.
»Vielleicht«, meinte der greise Eber mit einem angedeuteten Lächeln, »kann dein schwarzer Freund mal nachschauen gehen.«
Lunke war schlecht gelaunt. Zwar war er sofort aufgetaucht, kaum dass Kim sich durch das Loch im Zaun gezwängt hatte, aber seine Miene verriet tiefen Unmut.
»Immer willst du etwas von mir«, maulte er, nachdem Kim ihm von den Männern im Wäldchen berichtet hatte, »und was tust du für mich? Nichts – weniger als nichts. Nicht einmal ein kleines Bad im See ist für mich drin.« Lustlos scharrte er im Waldboden und hielt den Kopf gesenkt.
»Der Tote im Wald … ich muss ständig an ihn denken«, erwiderte Kim. »Mir ist ganz schlecht deshalb.« Sie legte ihren Rüssel in Falten. Es
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