Rampensau
Carlo.
»Hast du Stress mit einem deiner Nachbarn?«, fuhr er fort. Sein Grinsen wollte gar nicht aufhören. »Am besten vergessen wir das Ganze und vergraben den Schwan irgendwo. Oder wollen wir ihn deinen Schweinen zum Fraß vorwerfen?«
»Meine Schweine bekommen kein Fleisch zu fressen«, gab Dörthe wütend zurück. Sie versuchte ihr rotes Haar zu bändigen und wieder hochzustecken, aber irgendwie zitterten ihre Hände zu sehr. »Glaubst du, es ist eine Warnung?«, fragte sie. »Meinst du, sie wissen, dass du hier bist – und was du vorhast?«
»Ist mir egal«, antwortete Carlo. »Wir begraben den Vogel – und damit Schluss.« Er legte seine Stirn wütend in Falten, als wollte er gleich losschreien.
Dörthe sah ihm nach, wie er zum Stall hinüberging. Carlo kannte sich besser aus, als Kim gedacht hatte.
»Na, kluge Kim, na, Doktor Pik«, begrüßte Dörthe sie endlich. Sie hatte noch immer Tränen in den Augen. »Hat euch der tote Schwan auch einen solchen Mordsschrecken eingejagt?«
Kim grunzte zur Antwort, doch Dörthe hatte sich schon wieder Carlo zugewandt, der mit einer Schaufel zurückkehrte.
»So ein Schwan hat doch eine Bedeutung«, sagte sie unsicher. »Noch dazu, wenn er schwarze Federn hat. Der sterbende Schwan – Schwanengesang; das sagt man doch, nicht wahr?«
Carlo packte den Schwan, ohne mit der Wimper zu zucken, und legte ihn auf die Schaufel. »Schwanengesang ist so eine Art Abschiedslied – das letzte Werk eines großen Künstlers«, sagte er.
Wie der Schwan auf der Schaufel lag, sah er plötzlich wieder gesund aus, fand Kim, als könnte er sich jeden Moment in die Luft erheben und davonfliegen.
»Glaubst du, Bornstein weiß von deinem Stück? Deshalb diese Warnung?«, fragte Dörthe. Sie fingerte in ihrer Tasche herum und holte eine zerdrückte Packung Zigaretten hervor.
Carlo zuckte mit den Schultern. »Wir haben doch gewusst, dass das Stück einen Skandal auslösen kann«, sagte er. »Wir trinken einen Kaffee, und dann beginnen wir mit der Probe. Wie wir es abgemacht haben. Alles klar?« Er zwinkerte Dörthe zu, als wäre sie ein kleines Kind, das sich unnötig Sorgen machte. »Vielleicht kann ich den Schwan sogar mit einbauen. Am Ende erschießt sich Bornstein, der gescheiterte Geschäftsmann und Verleger, und stirbt mit einem ausgestopften Schwan in den Armen, den er im Fallen von einer Glasvitrine reißt. Geniale Idee – sollte ich gleich aufschreiben.«
Mit dem Schwan auf der Schaufel lief er zu den Bäumen neben der Zufahrt. Offenbar wollte er ihn dort vergraben.
Dörthe rauchte eine Zigarette und blickte sinnend über die Wiese.
Kim versuchte ihren Blick einzufangen. Sieh dich vor Carlo vor, wollte sie Dörthe sagen, er ist ein Lügner, er war heute Nacht bei einem toten Mann und hat ihn bestohlen. Doch Dörthe war ganz in sich versunken. Sie schreckte erst auf, als ein dunkelblauer Wagen über die Zufahrt heranrauschte und drei Schweinslängen vor ihr stehen blieb.
Als der Motor erstarb, war einen Moment lang alles still. Die Tür wurde nicht sofort geöffnet, wie es für gewöhnlich der Fall war, wenn ein Wagen hielt.
Dörthe warf ihre Zigarette achtlos hinter sich. Fast hätte sie Doktor Pik getroffen, der ärgerlich schnaubte, aber keine Anstalten machte zu gehen – genauso wenig wie Kim.
Dann endlich stieg eine Frau aus, sie war von schmaler Statur, hatte rotes Haar, aber nicht so wie Dörthe, es sah dunkler und matter aus und irgendwie unecht. Obwohl sie sehr zierlich wirkte, kam sie energisch auf Dörthe zu. Sie lächelte, ihre Lippen glänzten, und ihre Zähne waren schneeweiß. Sie hielt eine kleine Plastikkarte vor sich.
»Marcia Pölk, Kriminalpolizei«, sagte sie und lächelte wieder. »Sind Sie die Besitzerin dieses Hofs?«
»Kriminalpolizei?« Kim bemerkte, wie Dörthe einen unsicheren Blick in Richtung Carlo warf, der zwischen den Bäumen verschwunden war. »Ja, ich bin Dörthe Miller. Ich wohne hier.«
Die Polizistin schaute Doktor Pik und Kim freundlich an. »O, Sie züchten Schweine?«, erklärte sie, ehrlich erfreut. »Wie ungewöhnlich!« Langsam streckte sie eine Hand vor, an der Kim sofort zu schnüffeln begann. Nach Metall und Seife roch ihre Haut.
Dörthe schüttelte den Kopf. Ihre Anspannung war ihr deutlich anzumerken. »Ich bin bei meinem Großvater groß geworden – er war Metzger, da hat es immer furchtbar nach totem Schwein gerochen, und nun rette ich ein paar Tiere vor dem Schlachthaus und bilde mir ein, ich könnte damit
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