Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
sogar eine seiner leckersten Nachspeisen an. Ich war gerührt davon. »Klar, mache ich. Ach übrigens, wie soll ich dich zukünftig nennen? Ich meine, wenn wir doch jetzt längerfristig zusammenarbeiten.«
Er warf mir einen undefinierbaren Blick zu. »Wozu?«
»Was? Wozu ich deinen Namen wissen will?« Ich griff mir die große Schüssel mit dem Weinsorbet. »Na, weil’s einfach praktischer ist.«
»Ich bin der Koch! Und das hat bisher gereicht.«
»Okay«, schmatzte ich vor Gaumenfreude. »Dann nenne ich dich eben Koch.«
Zufrieden schnitt er den Lauch fürs Rügener See-Ei, eine Spezialität unseres Schiffes und ein super Highlight unter den kleineren Gerichten. »Dieses Sorbet ist ja der blanke Wahnsinn! Was ist da alles drin?«
Ohne aufzusehen, begann er die Zutaten aufzuzählen. »Frische Marillen, Fruchtzucker, Riesling, der Saft von …«
Die Tür schlug auf und unterbrach den Koch. »Ach, hier stecken Sie! Und falls Sie nichts dagegen haben, würden die Trauergäste jetzt gerne weiter bedient werden. Natürlich nur …« Brömme stierte zornig auf den Löffel in meiner Hand. »… wenn Sie denn mit dem Vorkosten fertig wären.«
Natürlich war ich fertig! Wer hatte nach so einer sauren Standpauke noch Appetit auf Süßspeise? Ich jedenfalls nicht!
Alle saßen zufrieden vor ihren Tellern. Hin und wieder erklang ein »Hm, sehr delikat«, oder ein geschmatztes »phänomenal«. Hendrik Zapf hatte sich vom Preiselbeerenfilet zum Marillen-Weinsorbet vorgekaut und lag damit um einen Gang in Führung. Seine ältere Tischnachbarin schlürfte hingegen noch an ihrer Vorsuppe, währendder Rest der Familie sich am Rügener See-Ei labte. Ich faltete die Hände hinter meinen Rücken und beobachtete Antonio, wie er graziös die leeren Teller zwischen den Speisenden hervorfädelte, ohne auch nur störend zu wirken. Er hatte es echt drauf! Ortrud stand abgewandt am Tresen. Ihre Gedanken hatte sie schon am frühen Vormittag, zusammen mit ihren Sachen in den Spind gehängt. Ich war sicher, sie hatte Sorgen. Oder sollte sie immer noch sauer wegen des unterbrochenen Quarkmaskenfrühstücks sein?
Als mir eine der älteren Damen an den Arm griff, zuckte ich zusammen. »Oh, entschuldigen Sie, meine Liebe. Ich wollte Sie nur um ein Schnäpschen bitten. Eins zur Verdauung, wenn Sie verstehen.«
Klar verstand ich. Die Oma hatte den heimlichen Suff und war nach all dem Sprudelwasser und dem langatmigen Gequatsche des Geistlichen auf Entziehungstrip. Ich erkannte das an ihrer kartoffeligen Nase. Ein eindeutiges Anzeichen für verschleierte Sauflust.
»Aber natürlich«, erwiderte ich mit einem Lächeln. »Wir hätten einen expliziten Kräuterlikör.«
Sie blickte sich um. »Äh …, ein Gläschen Wodka wäre mir lieber. Der kurbelt die Verdauung so richtig an«, murmelte sie. Dabei zog sich ein breites Grinsen über ihr faltiges Gesicht. »Und er fördert den Stuhlgang.«
Wodka? Also mich lässt der nur rückwärtsessen! »Tut mir leid, Wodka haben wir nicht. Alternativ vielleicht einen Cocktail?«
Näher an mich heranrutschend, drückte sie mir einen Flachmann in die Hand. »Kein Problem, ich habe immer meinen eigenen dabei. Wenn Sie mir den in ein Glas füllen könnten?« Dann schob sie einen Zehner hinzu. »Vielen Dank, Fräulein.«
Ich war schockiert. Glaubte sie wirklich, dass ich mich so einfach kaufen ließ und dafür meinen Job riskierte? Ich versteckte den Flachmann mit Wodka hinter meinem Rücken und blickte ihr nach. Als sie sich wieder neben Hendrik Zapf setzte, nickte sie mir noch einmal zu. Unglaublich! Wahrscheinlich war das das Zeichen, ihr das Suchtmittel als Selters getarnt zu bringen. Projekt Alkoholschmuggel quasi, bei dem ich improvisieren musste, denn zwanzig Milliliter waren das nicht in meiner Hand. Eher zweihundert, und die passten wohl kaum in ein Schnapsglas.
Hin und her gerissen, überkam mich letztendlich das Mitleid. Sei es der netten Seniorin oder des gerollten Zehners wegen, der in meinem Hosenbund steckte.
Morgen gibt es Regen, mutmaßte ich beim Ausguck zum Himmel. Auf Schwalben konnte man sich auf hoher See ja nicht verlassen. Und mit Möwen-Weisheiten kannte ich mich nicht aus. Einer der männlichen Trauergäste war mir auf dem Weg vom Klo aufs Deck gefolgt und stand plötzlich neben mir. Erschrocken fuhr ich ihn an. »Meine Güte! Sie können sich doch nicht einfach so heranschleichen!«
Er hielt mir seine Hand entgegen. »Darf ich mich vorstellen? Egon Knister, Braumeister von
Weitere Kostenlose Bücher