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Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Titel: Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Bieling
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bitte wo? Beim Inselbäcker? Ich hätte gerne drei Brötchen, zwei Stücke Kirschsahne und drei Gramm von dem leckeren Kokain da hinten.«
    Obwohl … Wo hatte eigentlich Antonio sein Gras her? Ich ging nicht davon aus, dass er getrocknete Meeresalgen rauchte. Wahrscheinlich hatte er sich etwas Marihuana im Garten angepflanzt, gleich neben Ortruds Tomaten. Und die goss sie natürlich regelmäßig, in der Hoffnung, dass sie schnell zu einem prächtigen Bananenbaum heranwuchsen und Früchte trugen. Merke: Ortrud eine Lehrstunde über verbotenes Blattgrün erteilen.
    »Spotte du nur! Aber beschwere dich nicht, wenn dein Plan nach hinten losgeht. Ich habe dich gewarnt.« Dann klatschte Richard mit den Händen auf seine Oberschenkel, sprang auf und verließ mit den Worten »Steig von deinemTurm herab und denk mal über die Folgen nach« den Visagistenraum.
    Als der Vorhang fiel, jubelten die Zuschauer. Einige verlangten lautstark nach einer Zugabe. Ich war Richard an die Seite der Bühne gefolgt. Die Theatergruppe der Schauspielschule versammelte sich noch einmal, um sich unter erneutem Beifall vorm Publikum zu verbeugen. Richard stand angelehnt an einem Pfosten. Er betrachtete das Ende der Vorführung mit einem zufriedenen Nicken, während er etwas vor sich hin grummelte. Irgendwie wirkte er müde und zerschlagen.
    »Ein toller Erfolg«, säuselte ich.
    »Ja, das ist es.« Er blickte mich an. Seine Hand fuhr über meine Wange, um eine verirrte Träne wegzuwischen. »Aber du bist das wahre Rapunzel. Du spielst diese Rolle wesentlich ausdrucksstärker als diese Charlotte. Selbst die Knödelmeyer hast du überzeugt, vergiss das bitte nicht«, sagte er im Tonfall eines großen Bruders.
    Wie konnte ich, wo ich doch so viele Jahre an diesem Traum gearbeitet hatte? Aber jetzt, wo ich Hendrik kannte, den Mann, der mir ein vollkommen neues Leben zeigte, verblassten der Traum und der ständige Drang nach Applaus. Ich griff nach Richards Hand. »Weißt du …«, begann ich, »… ich bin mir da nicht mehr so sicher, was mein Ziel anbelangt.« Ich legte seine Hand auf meine Brust. »Spürst du mein Herz?«
    Richard nickte.
    »Es schlägt für dich, meinen besten Freund. Und für Sarah, Hendrik, das Meer, Rügen und all die Tiere, die auf so wundersame Weise in mein Leben geraten sind. Aber ich glaube, es schlägt nicht mehr für diesen Traum.«Auf dem Rückweg lief ich an meiner Schule vorbei. Ich stand auf dem Pausenhof und betrachtete die verwitterte Fassade, an deren Mauern unterhalb kleine Moosbüschel aus den Fugen wucherten. Wie Geschwüre vereinnahmten sie das feuchte und in die Jahre gekommene Gemäuer. Ich setzte mich auf eine der beschmierten Bänke, die im Halbkreis aufgestellt waren .
    Das Grün des Mooses war das einzige Grün auf diesem Hof. Mir war niemals aufgefallen, wie trist und düster dieser Ort eigentlich war. Sekunden später kam eine Gruppe junger Künstler aus der Schauspielschule getrampelt. Sie redeten aufeinander ein, und niemand bemerkte, dass unweit von ihnen ein junger Mauersegler mit ausgebreiteten Flügeln den ersten Kampf seines Lebens führte. Ich stand auf, hob das Tierchen hoch und bettete es auf meinen Schoß.
    Ach, wäre doch nur Hendrik jetzt hier, dachte ich beim Anblick des Vogels. Was bitte tut man mit einer flugunfähigen Schwalbe? Im Grunde wusste ich nichts über diese Vögel, außer dass es Regen gab, wenn sie tief flogen. Immerhin war ich bis vor kurzem nicht anders als diese jungen Menschen, die laut diskutierend zur S-Bahn-Station liefen, nichts anderes im Sinn, als die Konkurrenz wegzuspielen.
    In der Ferne heulte eine Feuersirene, die kurz darauf von den Martinshörnern der Rettungsfahrzeuge übertönt wurde. Ich fädelte mich vorsichtig aus den Trageschlaufen meines Rucksacks. Ganz behutsam suchte ich nach dem Handy, um den ängstlich dreinschauenden Jungvogel nicht zu erschrecken. Hastig tippte ich darauf herum und wartete angespannt.
    Komm schon, Hendrik.
    Einen Tierarzt als Freund zu haben ist ein Abenteuer, das einen stetig dazulernen ließ. Nachdem ich auf Hendriks Anweisung die mobile Tierrettung gerufen hatte – ich wusste überhaupt nicht, dass es so was gab –, schlenderte ich an der belebten Einkaufsstraße entlang, die zu unserem Haus führte. Regungslos blieb ich stehen, als ich im Schaufenster ein Buch über Ängste und Phobien entdeckte. Nur wenige Menschen gehen furchtlos durchs Leben. Die meisten hingegen leiden, ohne es zu wissen, unter einer Phobie, stand da

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